Den nächsten Tag durchwandern wir Fes in alle Richtungen. Als erstes beginnen wir in einer Mosaikmanufaktur. Mohammed versichert, dass er kein Interesse oder Vorteil davon hat, ob wir nun etwas kaufen oder nicht. Die Versuchung hielt sich in Grenzen. Ich bin nachträglich froh, dem Kauf eines Kamels widerstanden zu haben, denn es war teuer und hätte nicht in meine Herde gepasst, weil es nur an die Wand zu hängen war. Der Inhaber erklärt auf Deutsch die Arbeitsschritte und führt uns überall rum. Eine Abteilung bemalt Keramik, indem ein Mann die Muster vorzeichnet und etliche Frauen ausmalen. Kaolin für die Keramik kann roh verarbeitet, d.h. muss nicht gemagert werden.
In einer Halle sitzen Männer, die gebrannte farbige Fliesen zu kleinen Steinchen brechen, die sie verkehrt herum auf die vorgegebenen Muster legen, um sie dann mit einer Verbindungsmasse auszugießen. Der König hat verboten, bei der Mosaikherstellung Maschinen einzusetzen, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Die Tischplatten und Brunnen sind schön und teuer. 5000 Euro muss man für ein Brünnlein rausrücken. An der Wand stapeln sich die verpackten Waren für den Versand auch mit deutschen Adressen.
Unsere Besichtigung startet auf einem der Hügel südlich der Stadt, wo man von einem großen Platz vor einer geschlossenen Moschee aus einen herrlichen Panaromablick über die ganze Stadt, ihre Stadtmauer und die Friedhöfe hat. Leider ist die Sicht recht diesig. Doch man sieht bis zu den Ruinen einer ehemaligen Festung.
Von dort fahren wir zum Bab Ftouh und beginnen den Gang durch den Stadtteil El Andalous. Das ist ein Highlight, das wir 1980 verfehlt haben! Das Viertel ist dunkel, die sehr engen Gassen sind z.T. durch Balken abgestützt. Unser Reiseleiter versichert aber, das habe nichts mit dem Erdbeben letztes Jahr zu tun. Etliche Mitreisende sprechen von Platzangst, denn es fehlte nicht viel und sie wären steckengeblieben…. Es ist ein Rätsel, wie man ohne jedes Fenster wohnen kann. Ich sehe, wie jemand mit Mühe ein Motorrad, das länger ist als die Gasse breit, in einen Hausgang wuchtet. Wenn einer seinen Gemüsekarren durchschieben will, flüchtet man in den nächsten Hauseingang oder um die Ecke.
Direkt hinter dem Viertel landen wir im eigentlichen Souk der Altstadt aus dem 9. Jahrhundert. Hammelhoden, Kamelfleisch, Paarhuferfüße, Ziegenköpfe, Fisch, da ist das Adjektiv „lecker“ wirklich mal angebracht. Die Lädchen sind so klein, dass sich der Verkäufer über die Theke schwingen muss, wenn er mal den Stand verlassen will.
Im nächsten Quartier locken gefärbte Wollstränge, Agavenseide und die weiterverarbeiteten Produkte daraus. Was jeder Tourist bestaunt, ist das Gerberviertel, das mit seinem Gestank alle Sinne anspricht. Vom Balkon des größten Ladens aus filmen wir die Arbeiter, die mit nackten Beinen in den Bottichen stampfen, fertige Leder stapeln und wegtragen oder zum Trocknen ausbreiten. Dieser Job kann nicht gesund sein. Achtzehn Wochen liegen die Häute im Salz, Ammoniak, Taubenscheiße (geliefert aus dem Viertel, wo viele Familien Tauben halten) und Kalk.
Je weiter wir in den Souk eintauchen, umso voller wird es um uns herum. Bortenhersteller, Zwirne in allen Farben, Hochzeitskleider, Kaftane. Auf einmal wird es lautstark, drei Männer vor uns schreien aufeinander ein und werden fast handgreiflich. Mohammed ist schon weitergegangen, wir drücken uns schnell vorbei und fragen ihn, um was es da ging. „Der eine Mann hat die Gasse blockiert und den Käuferstrom gebremst. Die andern haben sich darüber geärgert.“ Ob das so stimmt? Auch 1980 erlebten wir Ähnliches. Junge Leute bedeuteten uns, wir sollten bei dem Tumult nicht stehenbleiben. Wurde ein Dieb erwischt? Volksjustiz? Wir begegneten dem Mann später nochmal – blutverschmiert.
Nun betrachten wir die Teppiche und Schnitzereien. In der Nähe der Medersa Attarine aus dem 13. Jahrhundert staut sich sämtlicher Verkehr im Souk Kisseria. Ausländergruppen drängen raus, wir rein, Einheimische wollen vorbei. Im Innenhof der Schule verteilen sich die Besucher und auch wir bewundern die Stuckverzierungen und Schriftbänder, die Mohammed spielend zu entziffern scheint. Im ersten Stock wohnten die Schüler sehr spartanisch in winzigen Kammern.
Die von einer Frau im 9. Jh. gestiftete Moschee in der Nachbarschaft betrachten wir nur durch die Tür, ebenso das Mausoleum Moulay Idriss II.. Die Überraschung des Tages ist ein Mittagessen in dem typischen, wunderschön andalusisch gefliesten Restaurant Asmae (normalerweise essen wir nur abends warm). Es gibt Menü: Ramadansuppe, gefüllte Teigtaschen, Melone und Getränk (180 Dh= 18 Euro).
Auf dem Weg zu einem kleinen Platz kommen wir an einem Sargtischler vorbei, auf dessen Verkaufstisch sich kleine Katzen räkeln. Im Metallhandwerkerteil kann man große Kupfertöpfe und Platten ausleihen, wenn man eine Feier auszurichten hat. Aus allen Ecken schallt Gedengel und Geklopfe.
In Reichweite des Palasts Dar el Makhzen, den der König einmal im Jahr nutzt, wurden die Juden (Mellah) im 14. Jahrhundert zwangsweise angesiedelt. Es wird immer wärmer, automatisch schleichen wir von Schatten zu Schatten. Die Straßenzüge des Judenviertels sind auf Staatskosten frisch renoviert, die Holzbalkone ragen über die Bürgersteige, denn im Gegensatz zu den Muslimen, die Blicke von Passanten abwehren, ist das Leben nach außen gerichtet.
Im Schaufenster werden Dekoartikel für Gelage, Hauben für die Speiseplatten, Gewürze, Henna und Schmuck angeboten. Eine Besonderheit gab es hier im Mittelalter. Frauen, die sehr viel Muttermilch hatten, konnten in ein Zentrum gehen, wo Mütter mit zu wenig Milch mit ihren Säuglingen warteten. Ein Notar vermerkte in einer Urkunde, welches Kind von welcher Mutter die Milch bekommen hatte. Es war nämlich verboten, dass sogenannte „Milchgeschwister“ später heirateten. Mohammed vertritt die Überzeugung, dass über die Muttermilch Gene weitergegeben werden. Als unsere medizinisch ausgebildeten Mitreisenden ihn über Genetik aufklären wollen, meint er patzig: „Bei uns ist das aber so.“ Über dieses maghrebinische Naturwunder bleibt uns die Spucke weg.
Siehe Mitte beim Schilderverkauf: Durchgang verboten für Maultiere und Esel. „Balek! Balek!“ hört man es ansonsten rufen, wenn man wieder einmal einem schwer beladenen Tier ausweichen muss, das die ganze Gasse ausfüllt. Nahe dem Blauen Tor ergattern wir das letzte Exemplar der Schulfibel für Berbersprache.