Am ersten Pass (2178 m hoch) wachsen neben der Straße Kapernstrauch, Dorn-Winde, Nacktfrucht, Dornlattich, Halbstrauch-Morikandie, Retamastrauch und der dornstrauchige Kreuzblütler. Nachdem wir an allen möglichen Felsverwerfungen, Abbruchkanten und Felsstürzen für Fotostopps gehalten haben, öffnet sich eine breite Flussoase mit Dattelpalmen, Grün fürs Auge.
Vor kurzem führte der Oued Ziz am Tunnel du Legionnaire (1.250 m ü. M.) noch Hochwasser bis zur Straße und in Erfoud sollen Reisegruppen knöcheltief im Wasser gestanden haben. In Sichtweite eines Dorfes blockiert eine Menschenmenge die Straße, sie rücken winkend zur Seite, wir sehen, dass ihnen ein Polizeiauto vorausfährt. Was Offizielles? Mohammed entziffert ein Poster, das am Fahrzeug steckt: „Das ist eine Demo für die Palästinenser!“ Meine Güte, aber warum sollen sich die Leute in der Pampa nicht auch für Politik interessieren…
Je weiter wir nach Süden vorankommen, umso sandiger wird die Gegend. Bei Meski und Er-Rachidia halten wir leider nicht, 1980 haben wir dort Versteinerungen gefunden. Die Zeit drängt.
Es dämmert nicht lange, nachdem wir Erfoud und unser Hotel erreicht haben. Was für eine schöne Anlage! Auf einer großen Fläche gruppieren sich mehrere Gebäude mit (ungepflegtem) Atrien bzw. Langbauten mit kleinen Veranden und das Empfangsgebäude mit Restaurant um einen Pool. Lautes Vogelgezwitscher begleitet die Badebegeisterung. Einziger Wermutstropfen ist am nächsten Tag Montezumas Rache bei einigen unserer Gruppe. War’s der Salat oder der Orangensaft?
Die Hotels, die wir insgesamt kennen lernen, sind unterschiedlich zu bewerten. Mal fehlen Steckdosen im Bad, mal ist kein Föhn da, mal funktioniert die Klimaanlage nicht oder ist zu laut, mal hat einer Ameisen oder Silberfischchen im Zimmer, keine Seife oder zu wenige Handtücher. TV kann man ganz vergessen, aber wir fallen abends so erschöpft ins Bett, da kann uns das egal sein. Die Armaturen erlauben wegen Kalkablagerungen oder Rost oft kein Umstellen von Hahn auf Duschkopf. Die Steckdose kann auch schon mal ganz aus der Wand fallen oder ist hinter dem Bett unerreichbar ohne Verrenkungen. Die Standards sind eben andere und Halbfertiges stört hier keinen Besitzer, aber mitunter Reisende mit Ansprüchen. Wenn man 1980 die Campingplätze kennen gelernt hat, ist man abgehärtet von Dreck, Kakerlaken, Unken in der Toilette und diversen Spinnen und arrangiert sich problemlos.
Das Essen in den Hotels konzentriert sich auf Tajine: Hammel oder Huhn mit Kartoffeln, Spaghetti oder Reis dazu Gurke, Tomaten, Karotten, Auberginen oder Bohnen, zum Nachtisch Törtchen oder Melone, manchmal Äpfel oder Bananen, was eben gerade regional reif ist. Das ist in Ordnung, aber alles ist kaum gewürzt, eintönig, doch auch Vegetarier werden satt. In Ägypten hat es besser geschmeckt, aber gegenüber einer Dose Thunfisch mit Brot und Tomaten wie häufig 1980, ist es um Klassen gehaltvoller. Nachts bellen Hunde in der Ferne, tagsüber nerven uns in den Oasen Fliegen und mindern etwas das Vergnügen, draußen zu frühstücken. Kaum steigt man aus dem Bus, schon drängen Heerscharen an die Fenster. Auf den ersten Metern nach dem Fotostopp ist ein Gemetzel obligatorisch. Der Busfahrer wischt in den Pausen die Leichen von der Scheibe.
Inzwischen kommen drei nicht von der Toilette und fallen deshalb beim Ausflug nach Rissani aus. Der Palmenhain Tafilalt ist durch die Trockenheit in einem erbärmlichen Zustand. Aber Palmen sind hart im Nehmen und speichern Flüssigkeit in der Stammmitte. Sofern sie nicht anfällig für Krankheiten geworden sind, grünen sie wieder. Lehmruinen sind die einzigen Reste der Stadt Sijilmassa, bei der vom 12. bis zum 19 Jahrhundert ein wichtige Karawanenroute für Gold, Elfenbein, Edelsteinen und Sklaven endete.
Zuerst umrunden und durchqueren wir den restaurierten Ksar Ouled Abdelhalim aus dem 17. Jahrhundert, der bis vor Kurzem noch von der Witwe eines hohen Beamten am Hofe bewohnt war. In der Nachbarschaft pilgern wir durch den Ksar Abbas. Die zum großen Teil überdachten Gassen werden nur dürftig durch Ausschnitte im Dach über Kreuzungen beleuchtet. Kinder drücken sich vorbei, niemand beachtet uns weiter. Am Ausgang sitzt eine verschleierte Frau im Gespräch.
Bevor wir zurückfahren, besuchen wir das Mausoleum Moulay Ali Cherifs, Gründer der immer noch regierenden Alaouiten-Dynastie, der 1640 die Macht an sich riss, auch er ein Nachfahre Mohammeds. Sein Sohn Moulay Ismail machte Meknes zur Residenz. Sein Grab ist uns verschlossen bis auf den Hof, die Fliesen andalusisch, der Garten spendet Schatten und reife Datteln. Das Trinkwasser aus dem öffentlichen Becher nutzen wir besser nicht. Ismail kommandierte Berberstämme und eine Leibgarde aus 15.000 schwarzafrikanischen und arabischen Reitern (Söldner). Die Piraten von Rabat fingen in seinem Auftrag auch Christen, die zur Zwangsarbeit verurteilt wurden oder Lösegeld einbrachten.
Zurück in Erfoud besichtigen wir eine Fabrik, die Fossilien bearbeitet. In 15 km Entfernung werden Blöcke mit Presslufthammer aus den Bergen geschnitten, denn bei Sprengung würden sie zerstört. Es ist unglaublich, wie eng gepackt Belemniten, Ammoniten, Trilobiten, Fische, Muscheln und Pflanzen vor 380 Millionen Jahren während des Devon unter Luftabschluss versteinert sind. Wir bestaunen das Sägen und Schleifen für Tische, Bänke, abstrakte Objekte und Schmuck. Ja, sogar die ganz profanen Bänke auf dem Marktplatz von Erfoud sind aus Platten mit Versteinerungen, so billig wahrscheinlich wie die Marmorbürgersteige in Carrara.
Für unsere Wüstentour werden extra drei Geländewagen gemietet. Sie holen uns um 17 Uhr ab. Nach einer halben Stunden sehen wir in der Ferne immer wieder Tafelberge, 400 Millionen Jahre alte Korallenriffe, an denen mit weißer Schrift groß angegeben wird, welche Fossilien hier zu finden sind. Mann, wär das was, hier mit Geologenhammer durchzuziehen! Laut Geologenforum ist das sogar mit Führer möglich.
Unsere Wagen verlassen die Asphaltstraße und gurken querfeldein über die Steppe. Vereinzelt sieht man Schirmakazien, Weichsandmulden in der meist flachen grauen Ebene, die stark an die Dünengassis von Algerien erinnert, wo wir in vergleichbarer Umgebung vorgeschichtliche Steinwerkzeuge, Essensreste und Feuerstellen gefunden hatten. Die algerische Grenze verläuft vor dem nahen Gebirgszug in etwa 25 km Entfernung. Die Algerier sind gefürchtete Feinde, die zu gern das liberale Königreich in die Schranken weisen und auf den „rechten“ muslimischen Weg führen würden. 1994 gab es einen Anschlag auf ein Hotel in Marrakech, den man algerischen Extremisten zuschrieb. Danach stagnierte der Tourismus. Davon ist keine Rede mehr. Auf einer Geländewelle halten wir an und genießen den Blick auf das Dünengebiet El Chebbi.
Ein kleiner See ist der Rest vom letzten Regen, daneben eine Zeltstadt, vor der sich Asiaten tummeln, weiter weg ein Hotel im Bau. Chinesen brauchen kein Visum, vielleicht sind sie deshalb so zahlreich.
Als wir die letzte Kurve durch den Sand nehmen, warten schon Kamelherden mit ihren Führern auf ihre Opfer. Mit den besten Verhaltensregeln, wie wir die Wegelagerer abschütteln können, geht’s los. Wir wollen doch den Sonnenuntergang erleben und dafür suchen wir die beste Stelle. Zu zweit tigern wir über die ersten Kämme. Von atemloser Stille, der Konzentration auf den Herzschlag oder den Wind sind wir weit entfernt. Überall johlende Touristen in kleinen Karawanen, Franzosen und Asiaten hauptsächlich, Anspornrufe für Kamele. Schließlich lassen wir uns nieder, es scheint ein Platz für Besinnung, aber keine fünfzehn Minuten später trudeln weitere Gruppenmitglieder ein und es wird gequasselt, lamentiert und kommentiert. Unser Jüngster macht es richtig, er läuft vorbei und verschwindet am Horizont. Dann lässt sich zehn Meter entfernt eine Gruppe Franzosen nieder, hampelt vor den Kameras, posiert mit den Kameltreibern. Na, die sind einiges gewöhnt.
Leider Gottes hängen die Wolken so tief, dass die Sonne lange über dem Horizont schon verschwunden ist, bevor es dämmert. In der Ferne wetterleuchtet es jetzt auf breiter Front. Das sieht nach einem Gewitter aus. Ich mache mich auf den Rückweg, beobachte noch ein paar schwarze Käfer und inspiziere eine typische Wüstenpflanze Calotropis procera oder Fettblattbaum, die gleichzeitig blüht und ungenießbare avokadoähnliche Früchte (Länge bis 12 cm) trägt. Jede Frucht enthält über 100 Samen, die zwischen 7 bis 8 mm lang sind (Durchmesser von 4 bis 5 mm) mit etwa 30 mm langen Büscheln weißer, seidiger Haare als Flugorgan.
Dann wird es schnell dunkel. Eine andere Marokkotour von Phoenix bietet auch Übernachtung in der Wüste, aber da wäre ich enttäuscht gewesen, denn einen solchen Massenauflauf hätte ich mir nicht träumen lassen. Allerdings wäre dann natürlich ein einsamer Spaziergang auf die höchste Düne machbar gewesen. Vermutlich war es mein letzter Wüstenausflug, deshalb trotz allem mit Freude verbunden.
1980 waren wir alleine in den Dünen. Nur ein Berber nahte sich, als einer von uns mit dem Klappspaten und Klopapierrolle nach Deckung suchte.