Um Fes herum gibt es viele Thermalquellen. Obwohl ich nach der letzten Reise Aquarelle mit Motiven auch dieser Gegend fertigte, erkenne ich die Stellen nicht wieder. Die Felder sind abgeerntet. Wir halten nochmal bei den Kürbisständen und Ingrid und ich handeln erfolgreich um zwei aus Leder genähte Kamele, während Kinder ihr Maultier mit der Peitsche malträtieren, ein déja vue aus Tell el-Amarna.
Unser erstes Tagesziel ist Volubilis, das wir in der Mittagshitze besichtigen. Schöne Mosaiken hat man an Ort und Stelle belassen, eine Wasserleitung, Thermen, Bordelle, Wohnhäuser mit Atrium, die Treppe zu einem Tempel, ein Triumphbogen und eine Seite der Markthalle sind erhalten. Das Übliche im römischen Gebiet. Seinerzeit huschten uns Geckos voraus und Hirtenjungen spielten auf der Flöte.
Die Stadt wurde wahrscheinlich um 25 v. Chr. unter dem in Rom aufgewachsenen mauretanischen König Juba II. als zweite Hauptstadt gegründet. Im Jahr 40 n. Chr. kam es zu einem Aufstand, in dessen Folge Volubilis zur Provinzhauptstadt der römischen Provinz Mauretania Tingitana am südwestlichen Rand des römischen Herrschaftsbereiches wurde. Während der Herrschaft Mark Aurels wurde 168/69 die hellenistische Stadtbefestigung, die etwa 15 Hektar umschloss, durch eine 2,4 Kilometer lange Mauer mit acht Toren ersetzt. In den Steineichenwäldern jagte man damals Löwen und Panther, die gegen die Gladiatoren in Rom in die Arena geschickt wurden.
217 n. Chr. wurde zu Ehren Caracallas, der Sohn eines Berbers war, der Triumphbogen errichtet. Er hatte allen Provinzbewohnern das römische Bürgerrecht verschafft und die erste Inflation herbeigeführt, indem er den Goldanteil der Münzen halbierte. Die Vandalen benutzten die Stadt weiter.
Nach der Gründung von Konstantinopel verlor die Stadt an Bedeutung. Idris I. (bekannt als Moulay Idris) war ein Nachfahre Mohammeds, der nach der Schlacht von Fakhkh 786 aus dem von den Abbasiden kontrollierten Gebiet floh, weil er die besiegten proschiitischen Rebellen unterstützt hatte. Er ließ sich in Volubilis nieder, das damals hauptsächlich von Berbern und einer kleinen Bevölkerung jüdisch-christlicher Herkunft bewohnt war. Er nutzte sein Ansehen als Nachfahre Mohammeds, um 789 ein Bündnis mit den örtlichen Berberstämmen (insbesondere den Awraba) zu schmieden und wurde schnell zum wichtigsten religiösen und politischen Führer der Region. Da Volubilis strategisch zu angreifbar war, verlegte er seinen Wohnsitz und gab die Stadt auf, die ab 1700 als Steinbruch für Meknes benutzt und dann 1755 nachhaltig durch das große Erdbeben zerstört wurde. Sie geriet in Vergessenheit und erst 1874 wurden die Ruinen als das römische Volubilis identifiziert.
Nachdem wir uns den Schweiß von der Stirn gewischt haben, lockt uns eine Pause in der nächsten Stadt. Bis 1917 durfte sie kein Ungläubiger betreten. “Moulay Idris wurde vermutlich von Harun al-Raschid vergiftet, weil er die Unabhängigkeit von den Arabern durchsetzte. Für ihn gibt es im gleichnamigen Ort eine Wallfahrtsmoschee“, erklärt Mohammed. Diese sehen wir nur von einer Barriere aus, nachdem wir den Gemüsemarkt bis zum Marktplatz durchquert und in einem Café gerastet haben.
Es waren hauptsächlich Berber, die 711 n. Chr. in rasanter Geschwindigkeit im Auftrag der Araber Spanien eroberten, in dem Glauben, die arabischen Kalifen, die in Damaskus residierten, würden sie als gleichwertige Verbündete an der Verwaltung des eroberten Gebietes beteiligen. Dem war nicht so. 740 revoltierten sie deshalb. Da lag es nahe, dass sie 788 Idris I., der denselben Feind hatte und vor den Arabern geflohen war, in Freuden empfingen.
Am Nebentisch palavern Männer in Djellaba. Ingrid regt sich mal wieder auf, dass keine Frau sich entspannt. Die Stehtoilette verschlägt ihr jeden Harndrang, während Klaus unauffällig – wie er meint- die Teezeremonie am Nebentisch beobachtet. Mit hohem Schwung wird aus der Kanne eingegossen. Kaum sind die Alten verschwunden, bringt der Nachbar zuerst eine Kostprobe vom Tee für Klaus, etwas später Brot und Käse und zum Abschluss für uns drei je eine der roten Stachelbeeren, die zwar ihrem Namen alle Ehre machen, aber mit unseren Früchten keine Ähnlichkeit haben. Ich habe so meine Bedenken, ob das gut geht? Gruß ans Gedärm. Et is jut jejange. Wortreich erläutert der edle Spender etwas dazu. Wenn er sich nicht vor jedem Satz den Mund vollstopfen würde und Spucke versprüht, wäre ja wenigstens die Sprache identifizierbar. Aber so…. Wir nicken ihm freundlich zu und die Völkerverständigung ist gelungen. Am Spätnachmittag erreichen wir Meknes.
Die Stadtgründung von Meknes erfolgte 1063 mit dem Bau einer Festung am Schnittpunkt mehrerer Karawanenwege. Bedeutendster Herrscher war im 17. Jahrhundert Moulay Ismael, der einer ungewöhnlichen Bauwut mit Hilfe Gefangener und Sklaven frönte: an 25 km Stampflehmmauern, Palästen, unterirdischen Gefängnissen (die wir leider nicht sahen), Speichern und Wasserleitungen schufteten sie. Wem die Kräfte versagten, wurde vom Sultan persönlich enthauptet und die Leiche mitverbaut. 500 Söhne soll der Sultan gezeugt haben, Mädchen wurden schon mal gleich nach der Geburt um die Ecke gebracht. Aber: Er blockierte erfolgreich die Ausbreitung der Osmanen, belagerte die englischen Besatzer in Tanger, bis sie abzogen, und befriedete die Berberstämme.
Auch Meknes wurde vom großen Erdbeben 1755 beschädigt, die Hauptstadt wurde unter den Nachfolgerkämpfen nach Fes bzw. Marrakech verlegt. Das Mausoleum des Sultans ist zugänglich, die Fliesen prächtig – sogar auf der Toilette. Neben dem Sarkophag stehen Standuhren, Nachbildungen von Geschenken Ludwig XIV., die den Gläubigen daran erinnern, dass auch nach dem Tod eines Menschen die Zeit weiterläuft. Der Sultan hielt beim französischen König um die Hand einer Tochter an, wollte aber die Bedingung Ludwig XIV. nicht erfüllen (angeblich): Er wollte die christlichen Gefangenen keinesfalls freilassen. Das hätte Fachkräftemangel bedeutet, den auch seine 150.000 leibeigenen Elitesoldaten, die das Maurerhandwerk erlernen mussten, nicht ausgleichen konnten. Deren Nachfahren stellen bis heute die Leibgarde des Königs. Da schaudert es einen.
Von dort laufen wir zum Palast neben dem Judenviertel. Im Jahr 1956 (Unabhängigkeit von Frankreich) verweigerte der König ausreisewilligen Juden den Pass. Doch nach Mohammeds Tod schrumpfte die einst größte jüdische Gemeinde der arabischen Welt auf höchstens 2500 Juden in Casablanca. Ein Stück folgen wir der Mauer des Palastes, als der Muezzin loslegt. Das große Tor Bab Mansour ist gerade eingerüstet. Die Medina ist kleiner als in Fes. Gezielt führt Mohammed zum Schaufenster eines Buchladens. Wir trauen unseren Augen kaum: Da prangt Hitlers „Mein Kampf“ auf Arabisch. Das muss man als Autor erst mal schaffen! Damit hat er sicher nicht gerechnet.
Wir ruhen diesmal etwas früher als sonst, weil uns am 30. September 400 km durch den Mittleren und Hohen Atlas erwarten. Das wird anstrengend.
Merkwürdig mutet uns Ifrane an, ein Ort, der – während des französischen Protektorats entstanden – durch die Satteldächer und die Sauberkeit fast elsässisch anmutet. Hier an der Uni studieren die Kinder des afrikanischen Geldadels, wohnen in Appartements, ergehen sich im Park und entsprechend viel Polizei sorgt für Sicherheit und Kontrolle.
Am ersten Teil der Strecke durch die Sais-Ebene fallen uns erst Trockenmauern auf, Leute machen sich überall dran zu schaffen, immer mehr. Die Felder sind, wohin man schaut, von parallelen Plastikplanen strukturiert. Was wächst da? Das sind alles Zwiebellager. Auf die Trockenmauern werden die Zwiebeln gepackt, darauf kommt Erde oder Stroh und darüber die Planen. So hält sich die Ernte lange frisch. Wir durchqueren Steineichenwälder, die von Zedern abgelöst werden.
Weiter oben im Gebirge am Col du Zad bremst uns ein Affe, der mutterseelenallein auf der Straße hockt. Wenig später weitet sich der Blick auf einen großen Parkplatz mit ein paar Ständen. Touristenfahrzeugen, Kameras, und da! Im Zedernwald (Forét de Cèdres, Kalk, 1.600 m ü. M.), dessen Bestände überwiegend auf Aufforstungen zurückgehen, finden sich mächtige Zedern mit Stammumfängen bis 8,30 m. Eine ganze Horde Makaken (Macaca sylvanus), Berberaffen, lümmelt um die Mauern und Zedernbäume, lässt sich mit zu kaufenden Erdnüssen füttern. Ganz manierlich klauben sie einem die Nüsse aus der Hand. Andere hocken satt herum. 1980 hielten wir ihre Schreie für Halluzinationen, weil wir keinen gesehen haben.
Die Rastplätze wie z.B. das Restaurant Méteorites bei Boulaajoul gehören einer Kette, die ihre Niederlassungen einheitlich mit Antiquitäten, Aufklebern von allen möglichen Expeditionen, die hier durchgekommen sind, Ethnologischem und Versteinerungen dekoriert. Die Teppiche sind in die Jahre gekommen, schief, ausgefranst, recht antik. Hauptsache, die Toiletten sind sauber und man kann sie problemlos nutzen, ohne etwas konsumieren zu müssen. So ist es einfach, dass unser Busfahrer seine vorgeschriebenen Pausen einhält.
Das Skigebiet von Mischliffen wirkt bei der Hitze reichlich deplaziert, aber im Winter soll hier im Hohen Atlas schon mal für Tage der Schnee 80 cm hoch liegenbleiben.
Die Zuladung wird ausgeschöpft, so weit es geht. Wie viele Schafe passen auf auf den Pickup? Hält die Ladung bis zum Ziel? Wie zurre ich etwas fest, damit ich nichts verliere? Eine Karawane von zehn Wohnmobilen überholen wir nahe einem Halbnomadenlager. Auf den Hochflächen ziehen letztere im Sommer mit Schafen und Ziegen. Jetzt sind das Lager und der Pferch noch wie ausgestorben.
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