Marrakech bezeichnen viele als „schönste Stadt der Welt“: die Rothschilds und der letzte Krupp verbrachten die Winter hier. Mick Jagger, Madonna, Isabelle Adjani, Brad Pitt und Michael Douglas besitzen hier ein Haus. Im teuren Hotel Mamounia (135 noble Zimmer und 71 beeindruckende Suiten, manche bis zu 700 qm) am Bab el Jedid malte Winston Churchill Aquarelle und Putins Tochter soll 2013 ihre Hochzeit dort gefeiert haben. Die Dichte an extravaganten Luxushotels und Luxus-Riads soll nirgends auf der Welt so hoch sein.
Wir besichtigen die im 12. Jahrhundert angelegten Ménara-Gärten. Hunderte alter Olivenbäume gehören dem Staat. Das Wasserbecken in dem Gelände flankiert ein Lustpavillon aus dem 19. Jh. Der Punkt gehört offenbar zum Pflichtprogramm der Touristen, denn die Wege sind mit Gruppen gut gefüllt. Zurück in der Innenstadt ist das Minarett der Koutoubija-Moschee unser Ziel.
Es stammt aus der gleichen Zeit wie das von Sevilla und hat innen ebenso eine Rampe, auf der die Esel das Baumaterial hinaufschafften. Zu Fuß pilgern wir zum Palais de la Bahia. Der Bau des Palastes wurde in den 1860er Jahren von Si Musa, dem Großwesir unter dem alawitischen Sultan Muhammad ibn Abd al-Rahman, begonnen. Si Musa entstammte einer Familie schwarzer Sklaven, die der königlichen Regierung dienten. Den Bau erweiterte zwischen 1894 und 1900 sein Sohn.
Während des französischen Protektorats ab 1912 bewohnte den Palast der französische Generalresident (Lyautey). Nach der marokkanischen Unabhängigkeit nutzte ihn König Mohammed V. Sein Nachfolger, König Hassan II., übereignete das Haus dem marokkanischen Kulturministerium. Wir sind erschlagen von den Besuchermassen. So etwas hat selbst unser Reiseleiter noch nicht erlebt. Immer wieder kommt es zu Staus an den Türen und den kleinen Zimmern des Harems. Nur Details lassen sich ohne störende Touristen auf die Platte bannen. Asiaten lieben es, zum Beweis ihres Aufenthalts nicht nur ein Selfie zu produzieren, sondern vor der Linse rumzuhampeln, und das dauert. Mohammed vermisst entscheidende Ausstellungsteile. So sollen alle Wände mit Samt und Brokatstoffen verkleidet gewesen sein. Die abziehenden Franzosen haben seiner Meinung nach alles gestohlen. Da war er aber lange nicht mehr hier.
Leider nur einen Abstecher machen wir ins Restaurant Daressalam, wo Alfred Hitchcock „The man who knew too much“ mit Doris Day drehte. Phoenix hat die Gruppe zwar heute zum Abendessen eingeladen, aber hier soll das Essen nicht mehr typisch sein. Dafür ist die Location umwerfend.
Wir besuchen noch die Medersa Ben Youssef. Sie wurde wahrscheinlich um das Jahr 1340 von Sultan Abu l-Hasan (reg. 1331–1351) gegründet. Große Teile ihres Innendekors stammen jedoch aus dem 16. Jahrhundert. Ein langgestreckter Durchgang in dem nach außen völlig fensterlosen Bau führt zu einer Maschrabiyya-Doppeltür mit gedrechselten geometrischen Ornamenten und einem bogenförmigen Aufsatz mit gezacktem Zinnendekor. Dahinter öffnet sich der große, mit Marmorplatten ausgelegte Innenhof der Medersa (Schule) mit einem großen Brunnenbecken. Die untere Zone der Pfeiler und Wände ist mit Kachelmosaiken dekoriert. Seit 1960 ist der Lehrbetrieb eingestellt. Es gibt wie in Fes im oberen Stockwerk die Studentenzimmer zu bewundern. Mal sind sie durch Holzwände unterteilt, mal ist eine Holzempore über Leiter zugänglich. Im einen Teil wurde der Koran auswendiggelernt bzw. gekocht, im anderen geschlafen.
Wie der Schrittzähler eines Mitreisenden offenbart: Zehn Kilometer beträgt unsere Strecke durch den Souk. Dort saugen wir die Eindrücke im Geschwindschritt auf. Will man Mohammed nach der Bedeutung von Details fragen oder bleibt stehen, dann ist er leicht ungeduldig oder man verliert den Anschluss an die Gruppe, auch wenn wieder jemand angeheuert ist, um die Herde zusammenzuhalten. „Es geht immer geradeaus. An einer Abbiegung warte ich, bis alle da sind“, versichert er. Im Souk beeindruckt mich besonders das metallverarbeitende Gewerbe, das alles recycelt, was man sich nur vorstellen kann. Einrichtungsgegenstände aus alten Reifen, Bettgestelle, Lampen, Schlüssel u.a. Gemeinsam nehmen wir noch an einer Verkaufsveranstaltung in einer Fabrikation von Arganenöl, -seife usw. teil. Ich widerstehe problemlos dem engagierten Verkaufsleiter, weil zuhause noch ganz ähnliches Massageöl aus Ägypten rumsteht.
Dann haben wir fast zwei Stunden Zeit, um uns auf eigene Faust in den Gassen umzusehen. Bei 34 ° C ist das ein auslaugendes Vergnügen. Doch wie ich im alten Reisebericht nachgelesen habe, empfanden wir damals 37 Grad als erfrischend, denn tagsüber erlebten wir im August 42-47 Grad. Wie oft war das Thermometer im Auto am Anschlag. Da kochte das Kühlwasser oder einem Mercedesbus platzte die Frontscheibe. Ingrid entscheidet sich für einen Kaftan, ich kaufe zwei winzige Tajinenäpfchen mit der typischen blauen Glasur. Dann setzen wir uns in einem Restaurant im ersten Stock auf den Balkon und genießen bei Limonade einfach nur den Blick auf das Gewimmel. Da versucht einer sein Gemüse per Fahrrad oder Karren an den Mann zu bringen, lautstark preist ein Ausrufer T-shirts an, ein anderer breitet auf einer Decke Taschen aus, von der Ecke tönen wieder durchdringende Schalmeiklänge der Schlangenbeschwörer.
Um 19 Uhr sammeln wir uns wieder bei der Apotheke und laufen zum Abendessen: eine Suppe, Tajine mit ziemlich trockenem Kuskus, ein undefinierbarer, köstlicher Nachtisch aus Blätterteig und dazu Lifemusik eines Trommlers und eines Gitarrenspielers. Dann kreuzt eine Bauchtänzerin in fortgeschrittenem Alter auf. Eine gute Entscheidung, dass sie nicht ihr Bauchfett wabbeln lässt, sondern ein ganzes Tablett mit Geschirr auf dem Kopf balanciert.
Der 7. Oktober beginnt mit 22 °C um 9 Uhr. Die Ebene westlich Marrakech ist weniger abwechslungsreich als alles Bisherige. Uns begegnen auf ein und demselben Motorrad zwei Erwachsenen mit zwei Kindern. Ein Stück Autobahn kostet wieder Maut. Aber der Bus hat genauso eine Box wie wir an unserem Wohnmobil. Die Schranke öffnet sich, ohne dass wir anhalten müssen. Weite Bereiche, wo eigentlich Granatäpfel, Oliven und Erdbeeren wachsen müssten, sind staubtrocken und erinnern an die Sierra Nevada. Selbst der Phosphatabbau wurde eingestellt mangels Wirtschaftlichkeit. Die spanische Firma Cepsa verkauft überall Gasflaschen. Gut, zu wissen.
In einem Ort wimmelt es nur so von alten Autos. Mohammed sagt, es sei das wichtigste Städtchen, wenn man Ersatzteile für den R12 oder Peugeot braucht. Wenn Leute aus Dörfern abseits der Hauptstraße zum Markt wollen, reiten sie auf dem Maultier bis zur Straße. Dort muss es angebunden wenn, nicht etwa, weil es geklaut werden könnte, sondern weil es sich sonst selbständig auf den Heimweg machen würde. Die Tiere würden niemals einem Fremden folgen. Deshalb sieht man oft Tiere ganz allein in der Gegend stehen. Per Anhalter fährt man weiter zum Einkaufen. Für den Rückweg gibt es Maultierplanwagen als Lastentaxi.
Wir halten an einer Plantage voller Arganenbäume. Sie sind staatlich geschützt, haben 50 m tiefe Wurzeln und wechseln zweimal im Jahr das Laub. Auch Arganen in Privatbesitz dürfen nicht einfach gefällt werden. Die weiche Schale der gelben, marillengroßen Früchte wird von Tieren gefressen, das harte Innere wird geröstet, gemahlen und dann gepresst zu teurem Öl. Früher hat man Holzkohle aus dem Holz gemacht, heute würde der Käufer bestraft.
In einer Frauenkooperative erklärt uns die Leiterin, die während der Coronazeit mal eben Deutsch gelernt hat, die einzelnen Arbeitsschritte. Ein Sirenengeheul gellt uns in den Ohren, aber es ist nur der Begrüßungsschrei einer erfreuten Arbeiterin, die damit beschäftigt ist, eine Frucht nach der anderen mit einem Stein zu knacken.
Nahe Essaouira (ehemals Mogador) weitet sich der Blick auf die Bucht über die mit Thujabäumen bewachsenen Dünen. Sklaven, Gold und Straußenfedern brachten einst die Karawanen aus der Wüste in den „Hafen Timbuktus“, weshalb die Stadt mit dem Niedergang der anderen Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung verlor. Im Dunst verschwindet fast eine vorgelagerte Insel, die im 7. Jahrhundert v. Chr. erst von den Phöniziern, dann Punier und Römern bewohnt wurde. Die Phönizier kontrollierten den Handel mit West- und Südafrika und sollen hier Purpurschnecken gezüchtet haben. Ins Neolithikum datiert eine große Zahl sogenannter Escargotières – Abfallhaufen aus Muschelbruchstücken, Schneckengehäusen, Holzkohle und anderen Essensresten. Im 17. Jahrhundert stand dort ein Gefängnis.
Nachdem wir an der Marina (für Womos gesperrt) im „Hotel des Iles“ unsere Zimmer (alle ebenerdig um einen Pool gebaut) bezogen hatten, gab es zwei Stündchen Freigang. Da wollte doch keiner ausruhen! Ingrid, Klaus und mich zog es magisch an den breiten Sandstrand. Bis zu den Knöcheln gingen wir ins Wasser und wateten dann parallel zum Strand weiter. Doch als wir zu einem Strandlokal aufs Trockene abbiegen wollten, wurde das Meer auf einmal immer tiefer. Die Wellen schwappten höher, der Sand unter den Füßen rutschte weg. Ich war nass bis in die Mitte der Oberschenkel, Augen zu und durch! Aber meinen jammernden Freunden reichte das Wasser schon bis zum Schritt. Endlich fanden sie eine flachere Stelle und ziemlich durchnässt tranken wir dann doch noch unseren Kaffee. Erst während der anschließenden Besichtigung der Stadt trockneten Hosen und Rock.
Am Hafen war was los! Die Fischerboote waren anscheinend noch nicht lange vom Fang zurück, überall wurde noch ausgeladen, verhandelt, begutachtet und präsentiert. Leere Schneckenhäuser konnten wir für 1 Euro erstehen. Alles Andere hätten wir ja nicht zubereiten können.
Um die Festung stürmt die Brandung auf drei Seiten. In der Nähe wurden auch die herrlichen Intarsientische aus Thuya, Ebenholz, Zitronenholz und Perlmutt in floralen Mustern angeboten, wie wir uns 1980 einen kauften. An den Werkstätten kamen wir diesmal nicht vorbei. Die Portugiesen legten den Grundstein für die Festung, die später weitergebaut wurde, hielten die Stadt aber nur von 1506 bis 1510. Der Hafen war Abfahrtspunkt für zahlreiche Schiffe, die Menschen nach Amerika deportierten. Die Gnaoua sind die Nachfahren ehemaliger Sklaven und kommen ursprünglich aus der südlichen Sahara. Dieses Erbe wird in der Gnaoua Musik thematisiert und spirituell verarbeitet, besonders auf einem jährlichen Festival.
Die Mehrheit der Juden (Um 1910 waren es 48 %.) lebte in meist großer Armut in der Mellah. Im Hungerjahr 1877 waren 12.000 Menschen in dem Viertel zusammengepfercht. Im März 1891 hat der Kaid in bislang unbekannter Weise 200 Familien zum Verlassen der Stadt innerhalb einer Woche gezwungen.
Die im 18. Jahrhundert angelegte Medina von Essaouira mit ihrem – für Marokko völlig untypischen – weitgehend symmetrischen Grundriss, geradlinig verlaufenden Straßen und zwei Stadttoren wurde im Jahre 2001 Weltkulturerbe.
Auf dem ehemaligen Sklavenmarkt, einem kleinen, von Arkaden gesäumten Platz, stießen wir auf eine Männerversammlung. Da waren wir natürlich neugierig. Sie standen im Kreis und anscheinend wurde da irgendwas verkauft oder versteigert. Interessanter waren die Antiquitätenläden rundum, die zumindest ein ausgefallenes Angebot hatten. Vieles sah alt aus, aber ob es das auch war? Die Tür wäre nicht mal im Womo abtransportierbar gewesen, aber ein einmaliges Stück im Bergischen Land.