19. Barcelona

Kurts Geburtstag fiel mit unserem Barcelonaaufenthalt zusammen. „Barcelona ist der Hammer! Das wollte ich schon immer sehen“, meinte Kurt. Als Anfahrtstrecke wählten wir die Landstraße, die halsbrecherisch kurvig und eng direkt an der Steilküste entlanglief. Es herrschte viel Verkehr auch von Radfahrgruppen, die schlecht zu überholen waren. Die Ausblicke waren unübertrefflich: einmal auf ein Zementwerk, ein andermal auf das Castellet del Garraf (wie wir später erfuhren, ein Entwurf von bzw. Vorgeschmack auf Gaudí), oder einen Jachthafen.

   

Am Nachmittag erreichten wir in Castelldefels den Camping Estrelle, ein ACSI-Platz mit Ermäßigung in der Nebensaison (23 Euro), 18 km von Barcelona entfernt, aber gut mit öffentlichen Bussen angebunden: sehr groß, gepflegt, deutschsprechendes Personal, Gas, Wasser vorhanden, Laden im Winter geschlossen und Lokal nur am Wochenende geöffnet. Es passierte das erste Mal, dass uns eine neue Gasflasche direkt ans Auto geliefert wurde. Mit den Rädern kam man an den Strand, der steril, hell und kilometerlang ist, ziemlich langweilig. Der Bus fährt 45 Minuten bis zum Plaza Catalunya, von wo aus nach allen Richtungen Metro oder Sightseeingbusse abgehen. Da montags die Museen geschlossen sind, fingen wir Samstag damit an. Als wir den Dreh heraushatten, war die Orientierung unter der Erde mit Umsteigen etc. sehr simpel.

       

   

Drei Stunden lang besichtigten wir das Museu Maritim, das in einer Werft des 13. Jahrhunderts untergebracht ist. Zwanzig Galeeren liefen pro Jahr vom Stapel. Der Bau wurde sehr geschickt entkernt und mit modernen Teilen kombiniert. Wir waren begeistert vom Konzept und der museumsdidaktischen Präsentation. Container sind zu Vitrinen umfunktioniert, überall Monitore, auf denen fiktive Arbeiter des jeweiligen Arbeitsschrittes in Katalanisch (Spanisch und Englisch im Untertitel) ihre Situation erläutern. Statt altmodischer Dioramen mit Zinnfiguren laufen in Lebensgröße Filme hinter den Ausstellungsstücken und Bauteilen, bei denen man den Eindruck hat, man stünde direkt auf der Werft zwischen den Menschen. Sehr viel interaktive, mehrsprachige Aufgaben laufen auf anderen Bildschirmen und fördern das Verständnis und den Lernerfolg. Der Nachbau einer 60 m langen Galeere aus der Schlacht von Lepanto 1571 wirft einen um. 400 Matrosen und Soldaten und 290 Ruderer muss man sich in Aktion vorstellen.

Draußen umkreisten wir den Teil der Stadtmauer und warfen einen Blick in den Hafen und auf die Statuensäule des Kolumbus, der nach Amerika zeigt. Gleich dahinter beginnt die Prachtstraße Les Rambles.

       

   

Kalt wehte der Wind leichtes Getröpfel um den Kopf. In einem Souvenirladen erstanden wir einen Las Cacas und ein kleines Kamel in Gaudídesign. Der Ladeninhaber ist in Frankfurt geboren und gewährte Preisnachlass auf alles. Wir hatten den Laden schon verlassen, da rief er uns hinterher, wir sollten nicht Taxi fahren, denn mit der Metro käme man billiger überallhin. Das hatten wir sowieso vor. Eine Fahrt kostet 2,70 Euro, der Bus zum Campingplatz 2,55 Euro. Einige Pantomimen (ein Don Quixote, eine barocke Dame, ein Fledermausmensch) standen auf dem Flanierstreifen zwischen den Platanen, die Sitzfigur von Tom Hanks warb für ein Wachsfigurenkabinett. Plötzlich schallte Musik aus einer Budenreihe. Verrückt gekleidete Männer tanzten und sprangen Seil, gefilmt von einer Kamera – offensichtlich Transvestiten, aus der Nähe zum Fürchten geschminkt. Auf einem Banner hinter ihnen stand No Future for Sodomisme. Irre. Wir bestiegen die Metro bis zum Plaza Catalunya, wechselten in unseren Bus und waren erschossen von allen Eindrücken.

   

Wir müssen früh los und den Wecker stellen, damit wir möglichst viel schaffen, war unser Plan. Die rote Route des Sightseeingbusses sollte erst mal die Stationen im Westen und außen nach Osten absolvieren. Eine richtige Entscheidung. An der Plaza Espagna stiegen wir zum ersten Mal aus, um in Ruhe die Arena in Augenschein zu nehmen. Da es Sonntag war, fiel der Shoppingtrubel, Gott sei Dank, weg. Mit dem Außenlift erreichten wir die Aussichtsplattform und hatten den Blick sowohl zur Sagrada Familia, die wir morgen besichtigen würden und zum Miró-Denkmal. Auch innen beeindruckte uns die ehemalige Stierkampfarena, die 1977 zum letzten Mal so genutzt worden war. Dann wurde sie komplett entkernt, mit Rolltreppen, optischen Spielchen, Lokalen und Läden umgerüstet, indem man den maurischen Außenteil beibehielt. Eine geniale Lösung. Gegenüber die Kongresszentren und die Säule in der Platzmitte erinnern ein bisschen an die Großmannssucht eines Albert Speer. Zum nächsten Stopp saßen wir bei 16 °C mit Kapuze auf dem Oberdeck des Busses. Es ging durch das Olympiagelände, vorbei an etlichen Museen bis zum Arc de Triomf, mitten in einer breiten Prachtstraße, deren Beleuchtung aus Jugendstillampen ein Gesamtkunstwerk darstellen. Um 17:30 Uhr waren wir zurück und als Tagesabschluss bereitete ich einen Sauerkrautauflauf zu.

    

Die blaue Route des Busses war um Etliches interessanter. Beim Casa Batlló stiegen wir aus und sahen schon die Menschenschlangen am Eingang warten. In dem Rummel kamen wir nur bis in den obligatorischen Shop. Hier muss man die Karten besser vorbuchen. Wir beschränkten uns auf einen kleinen Kalender und latschten zum nächsten Gaudìhaus La Perdrera ( bzw. Casa Milà) nur einen Häuserblock entfernt. Da wir aber rechtzeitig bei der Kirche sein wollten, ließen wir uns nicht ins Museum locken, sondern bestiegen den nächsten Bus, der direkt vor der Sagrada Familia anhielt. Menschenmengen, Gruppen mit ihren Führern, Souvenirstände. Die Stunde bis zum Einlass widmeten wir einer Stärkung. Das einzige Café gab sich amerikanisch modern, d.h. wir bekamen den Kuchen in der Pappschachtel mit Holzlöffeln und den Kaffee aus dem Pappbecher mit Strohhalm. Dieser Luxus war eine Premiere.

   

   

Nun gut, wir kamen in die Kirche eine halbe Stunde früher und mussten nicht lange Schlange stehen. Unsere Taschen wurden wie beim Flughafencheck durchleuchtet, Kurt musste mal wieder sein Taschenmesser abgeben. Diese Kirche wird nur mit Hilfe von Eintrittsgeldern, Souvenirverkauf und Spenden weitergebaut. Die ganze Welt soll am Bau teilhaben, es waren im Übrigen auch vollverschleierte Frauen als Besucher drin. Man kann eine deutschsprachige App herunterladen, die einem alles erklärt. Nach drei Stunden beendeten wir im Museum den Besuch. Dort bekommt man auch einen Blick in die Bauhütte, in der Modelle mit 3-D-Drucker von jedem Bauteil erstellt werden. Danach waren wir so knülle, dass ein weiterer Ausstieg aus dem Sightseeing-Bus unmöglich war. Gern hätten wir auch das Jugendstil-Krankenhaus gesehen, den Park Güell oder die ehemalige Finca der Familie Güell, alles Gaudís Entwürfe, aber unsere Grenze war erreicht. Manche Raumeindrücke sind einfach grotesk, manch ein Fantasyfilm mag davon inspiriert sein. Ich merke, wie stark ich von antiken Schönheits- und Harmonieidealen geprägt bin.

       

   

Nun waren zwei Tage Erholung fällig. In der Not kaufte ich Brot in einem vollgestopften winzigen Supermarket in indischer Hand und hätte fast gelacht, weil das Englisch des Verkäufers/Eigentümers genauso typisch war, wie es ein Bekannter immer imitiert.

      

„Wenn wir in die Altstadt gehen, brauchen wir keinen Wecker, sondern fahren später los“, schlug ich vor, „damit wir auch die Abendbeleuchtung mal sehen.“ Kurt hatte Sorge, dass es dann zu kalt werden könne.

„Kein Problem. Wir nehmen im Rucksack unsere Kapuzenpullis mit.“ Die Linienbusse haben Monitore an Bord, auf denen abwechselnd die ganze Strecke, die nächste Teilstrecke und die kommendem Stopp angezeigt werden. Diesmal hatten wir aber einen Fahrer, der außerdem den nächsten Halt ansagte. Wir lachten. „Was hat der gesagt?“ Es hörte sich an wie: „Wurst mitnehmen.“ Wir wiederholten es für unseren Translator, der aber nichts damit anfangen konnte. Nun dachten wir an den Sänger Conchita Wurst. Bedeutet der Name mehr als der Laie denkt? Dieses Rätsel ist gelöst. (Den Namen Conchita bekam die Diva von einer Freundin aus Kuba und behielt ihn bei. Den Nachnamen wählte sie, „weil es eben ‚wurst‘ ist, woher man kommt und wie man aussieht“.)  Der Ausruf wurde in unser Portfolio aufgenommen. Übrigens haben uns Kurts Wanderstöcke sehr genutzt, da uns im vollen Bus immer jemand seinen Platz anbot.

Es brauchte die Hilfe einer netten Dame, um per Metro mit Umsteigen in die Nähe der Kathedrale zu kommen. Unsere Runde umfasste die Kathedrale von außen. (Ist vielleicht ein Sakrileg, dass uns die gotische Kirche 13 Euro pro Person nicht wert waren. Sowas haben wir auch daheim. Außerdem brauchen wir die Kräfte für Anderes.) Am Königspalast (archäol. Museum) vorbei ging es von Platz zu Platz, sehr gemütlich, überall mal zu sitzen und die Menschen zu beobachten. Hier eine schöne Fassade, dort ein schmiedeeisernes Prachtstück, da hinten die Markthalle. In letzterer herrschte die reinste Geldschneiderei und wir ließen Federn bei den Nüssen und den Äpfeln, die offenbar mit Gold aufgewogen wurden. Ohne Preisschilder wird man zu leicht verführt. Die asiatische Nussverkäuferin ließ uns entnervt mitten bei der Auswahl stehen, weil wir uns so langsam entschieden. Drei Äpfel kosteten über vier Euro.

       

   

Ins Foyer der renovierten Oper kam man nicht rein (sie hatte in den 1990er Jahren gebrannt). Wo war Gaudís erstes Projekt, das Palau Güell? Das Stadthaus der Familie Güell. Hier stand keine Schlange, wir kamen sofort mit Seniorenrabatt hinein und hielten uns darin auf, bis die Besuchszeit zu Ende war. Das Personal war ausgesprochen nett und sprach uns an: „Bitte melden Sie sich bei uns, wenn Sie mit der Besichtigung einer Etage fertig sind. Dann machen wir Ihnen den Aufzug zugänglich.“ Wir nutzten das Angebot dann für die Runterfahrt aus dem fünften Stock. Zuerst waren wir aber geplättet von der Pracht, der Qualität der Materialien und dem Entwurf. Das Besondere bei Gaudís Bauten ist, dass er bis ins Detail der Türbeschläge, Möbel und Geschirr alles auf den Bauherren zuschnitt. Er soll sogar die Hintern der Arbeiter in Ton gedrückt haben, um dann die Sitzflächen der Holzstühle genau dieser Form anzupassen. Beim Palau Güell nutzte er als Baumaterial die Steinbrüche, die der Familie gehörten, das Holz ihrer Bäume etc. Besaß eine Familie Weinberge, dann verwendete er Traubenformen als Deko etc. Selbst die Eisenarbeiten schmiedete er teilweise selbst, sagt man. Alles ist schräg, gerundet wie natürlich gewachsen, aber man fragt sich, wie schräge Säulen etwas tragen können. Die Statik zu berechnen, stelle ich mir schwierig vor. Ein Allroundgenie!

Der Abend wurde mit einbrechender Dämmerung nun gekrönt von einem Abendessen auf der Rambla. Kaum saßen wir vor unserer Cervesa, kam eine indische Hare Krishna-Tanzgruppe vorbei. „Das wäre aber jetzt nicht nötig gewesen“, meinte Kurt lakonisch. Das Lästern über die Passanten begleitete unser Essen. Da liefen Herren in pinken oder schwarzen Anzug mit Notenschlüsselmuster, Afrikanerinnen mit Säugling auf dem Rücken, asiatische Reisegruppen, hautenge Outfits über rausquellenden Fettrollen, voll- und halbverschleierte Armadas von Kinderwagen schiebenden quasselnden Frauen. Man könnte gut und gerne die dreifache Zeit in Barcelona verbringen und hätte immer noch nur einen Bruchteil gesehen, aber wir waren zufrieden. In der Nacht regnete es für drei Stunden.

   Bye, bye, Barcelona. Wir müssen unbedingt wiederkommen.

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