11. Alentejo

Wir überlegten hin und her, ob wir die Algarve noch einmal besuchen sollten. Schön war es auf jeden Fall dort. Zu meinem Geburtstag waren wir jedoch im Westerwald in einem Besucherbergwerk gewesen und hatten dort ein ausführliches Prospekt über Industriedenkmäler entdeckt, die zum Weltkulturerbe erhoben worden sind. Dazu zählt der größte Tagebau Europas in Spanien, nördlich von Sevilla. Das hieß, wir mussten nördlich der Algarve die Kurve kratzen und in östliche Richtung fahren, jenseits der portugiesischen Grenze.

Am 25. November erreichten wir gegen Mittag den Alentejo, eine traumhafte, leicht hügelige Region (31.604 km2) mit parkartigen Wäldern bzw. Plantagen vor allem aus Korkeichen. Für Wanderer nur auf Feldwegen erschlossen, da alles eingezäunt ist, denn die Rinder -vermutlich auch Kampfstiere- grasen frei auf den Haziendas. Auf den ersten Blick sehen die vielen Felshaufen überall wie Dolmen aus. Die Deutsche, die hier in der Mitte des 20.Jh. die Bestandsaufnahme machte, muss große Probleme gehabt haben, denn sie konnte nicht einfach den Spaten ansetzen, um ihre Interpretation zu belegen. Wir konnten nachvollziehen, warum sich die Menschen gerade hier im 3. Jahrtausend v.Chr. so dicht niedergelassen haben. Wer kann schon widerstehen, wenn ohne Steinbrucharbeit einfach nur die herrenlosen Steine für mindestens 300 Dolmen allein in dieser Gegend eingesammelt werden müssen. Unter dem wolkenlosen Himmel blühte jetzt der gelbe Klee, ab und an leuchteten Bäume in allen ocker- oder rotbraunen Farbnuancen des Herbstlaubs.

Eine sehr gute Nationalstraße war nur einmal durch einen umgekippten LKW beengt, an dem die Polizei vorbeiwinkte. Direkt neben der Plantage standen vier merkwürdige bienenkorbartige Hütten, schlecht zu fotografieren. Ein Hinweis „Megalithgrab“ an der Hauptstraße elektrisierte mich, aber am weiteren Weg fehlte ein Hinweis.

Wegen des unnötigen Abzweigs kamen wir aber direkt durch das Aquädukt nach Évora hinein, wie wir nachlasen, aus dem 16. Jh. und 9 km lang. In der Travessa das Nunes gibt es noch ein römisches Stück. Unser vorrangiges Ziel war als erstes das Megalithgrab Anta Grande dos Zambujeiro. Die Route sollte durch einen universitätseigenen Bauernhof gehen und noch ein Stück darüber hinaus. Schlaglöcher, Bodenrillen, abgeschwemmte Kanten zwangen uns zu Fußgängertempo. Selbst so tanzten die Tassen in unseren Schränken. Wenige Zentimeter rechts oder links und wir wären aufgesetzt. Haarsträubend, die Anhängerkupplung wurde arg strapaziert. Doch dann öffnete sich ein kleiner Parkplatz, wo schon drei PKWs standen. Das Grab selbst ist eingezäunt, damit die Kühe nicht durchtrampeln, Touristen dürfen es ungehindert.

     

Der 12 m lange Gang und die 8 m hohe Grabkammer sind aus Riesenblöcken zusammengesetzt, ein paar Meter weiter lag ein Menhir (einzelner Großstein), der möglicherweise mal auf dem deckenden Hügel stand. Die 7 m lange Deckplatte der Kammer liegt, in zwei Teile zerbrochen, dahinter.

Beim Infozentrum zum nächsten Besichtigungspunkt in Guadeloupe kaufte ich eine Broschüre aus dem großen Fundus sehr teurer englischer Fachbücher zum Thema. Die werde ich lieber über die UB ausleihen. Nette Nachbildungen von Megalithidolen aus Schiefer als Anhänger stachen mir ins Auge.

„Wie ist denn die Qualität der Straße zum Cromeleque de Almendres?“, fragte ich in Anbetracht des Feldwegs gerade eben. „Ist die für uns überhaupt passierbar?“

„Bis zum Menhir ist die Straße einigermaßen zu bewältigen, dann wird es schwierig mit Hänger. Dann sollten sie lieber laufen“, erfuhren wir. Da es schon dämmerte, blieben wir gleich auf dem Parkplatz über Nacht. Na gut. Es sollten ab dem kritischen Punkt nur noch 2 Kilometer sein, das müsste Kurt zu Fuß schaffen – dachte ich. Auch zu einem weiteren Steinkreis sollte nach Norden der Weg per Fahrrad nur 30 Minuten dauern. Müsste das nicht beides an einem Tag zu schaffen sein? Kurt wollte es lieber per Auto versuchen.

Das erste Wegstück war passabel, wenn man die Spurrillen versetzt fuhr, wir stellten den Wagen ab. Ich ging allein zwischen den Feldsteinmäuerchen zum Menhir, dann machten wir uns auf die Socken, aber Kurt schleppte sich schwer hügelauf, hügelab, an grasenden Kühen und frisch geschälten Korkeichen vorbei. Die Entfernungsangabe war reichlich untertrieben. Am Ziel mussten wir zugeben, dass es mit einem Wendemanöver schwierig geworden wäre, denn auch hier schnitt eine tiefe Rille querrüber.

Zu meinem Leidwesen war der größte Steinkreis der iberischen Halbinsel (95 Monolithe) abgesperrt, weil frisch mit Gras eingesät, und nicht betretbar. Das hatte uns die Dame nicht verraten. Wenigstens gab es einen extra angelegten Aussichtserdhaufen, von wo aus wir die Drohne fliegen ließen, da zum Glück nur eine Handvoll Besucher kurz herumtappte. Die Anlage wurde wahrscheinlich in Etappen errichtet, die letzte am Ende der Jungsteinzeit (4000 bis 2800 v. Chr.) Gerne hätte ich die eingeritzten Ornamente gesehen, aber auch so war die Fülle der aufgerichteten Steine sensationell. Einige tragen Augenmotive, Kreise, Krummstäbe oder Zickzacklinien, Schälchen, Sonnen- und Monddarstellungen als Verzierungen. In Anbetracht der Anstrengung und der unverhofften Absperrung ließen wir den zweiten Steinkreis links liegen.

   

     

In dem Infozentrum des Cromeleques hatten wir uns erkundigt, ob und wo man mal eine Korkfabrik besichtigen könne. Mit einer Adresse in der Tasche übernachteten wir im menschenleeren Industriegebiet von Évora vor einem Laden, um dort gleich am Montagmorgen eine Gasflasche zu kaufen. Das klappte wie am Schnürchen und flott legten wir die 25 km bis zur Fabrik zurück. Riesige Haufen Kork lagerten neben der Straße, LKWs warteten auf Beladung und ein freundlicher Portugiese erläuterte auf Englisch den Produktionsprozess: Zuerst wird die Borke 2 Std. lang gekocht, dann wird sie weich und lässt sich plätten bzw. hauchdünn schneiden. Sektkorken werden quer zur Faserrichtung geschnitten, feine Papiere und Folien entstehen aus der besten, weil dichtesten Qualität, die nicht bei der ersten Schälung abgeht. Jeder Baum wird etwa alle zwölf Jahre geschält bis zu einer bestimmten Trennschicht, die nicht verletzt werden darf, damit es ihm nicht schadet. Nun erkannten wir auch, warum auf den Stämmen der Bäume oft Zahlen stehen, d.h. die Anzahl durchgeführter Schälungen. Die schlechteste Qualität der ersten Schälung nimmt man als Granulat oder als Außenteil eines Korkens. Alles wird verwertet. Die Info im Reiseführer, im Laden könne zu Spottpreisen eingekauft werden, war schlicht falsch. Handtaschen in der benötigten Größe kosteten 55 Euro. In Évora erstand ich genau so eine für 20 Euro. Wir gönnten uns aber zwei Lampenschirme für die Nachttische.

    

Am Spätnachmittag installierten wir uns auf einem Stellplatz in Évora, der zunächst voll war. Das bekümmerte uns deshalb nicht, weil wir sowieso den restlichen Tag rasten wollten, und nach einer Stunde Warten und Kaffeepause in zweiter Reihe fuhr jemand weg und die Lücke reichte für uns. Ein kurzer Nieselregen anderntags zwang uns zu einer verlängerten Pause, aber zu Mittag klarte es auf und wir radelten in die Altstadt zuerst zur Kathedrale.

         

Die Stadt Évora ist Weltkulturerbe und wurde im Jahr 1166 in der Reconquista von den christlichen Heeren erobert. 1186-1204 baute man die Kathedrale.  Die Spitztonnen über Mittelschiff und Querhaus und die spitzbogigen Kreuzgewölbe der Seitenschiffe entsprechen dem Muster der Abteikirche Cluny III. Über das Katzenkopfpflaster ging es, entlang der auf weiten Strecken erhaltenen Stadtmauer, bis zum Aquädukt. An dessen Ende kehrten wir in ein winziges leeres Café ein. Waren wir die ersten Gäste des Tages?

    

Die Gässchen sind sehr eng, teilweise steil,  man musste sehr  vorsichtig bremsen, aber durch die Einbahnstraßen quetschen sich auch Autos ohne Hemmung. Der römische Tempel wurde im 1. Jh. erbaut und Augustus gewidmet. Die 14 Granitsäulen überstanden die Zerstörung der Westgoten im 5. Jh. und wurden später in den Königspalast integriert. Das Casa Cordovil ist vermutlich aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Erst vor wenigen Jahren wurde im Erdgeschoss der Hauptfassade eine „Loggia“ mit einem gotischen Arkadengang wiederentdeckt, der auf die soziale und wirtschaftliche Bedeutung des Eigentümers hinweist. Wenig Touristen kreuzten unsere Wege. Ein ganz entspanntes Flair liegt über der Altstadt. Auf den letzten Metern setzte Regen ein.

    

One thought on “11. Alentejo

  1. Super, was ihr alles in Südspanien entdeckt, wovon wir noch nie was gehört haben. Aber wenn man etwas darüber nachdenkt, ist es auch nicht verwunderlich, dass in dieser Klimazone schon früh Menschen gelebt und Bauten hinterlassen haben. Aber durch die näher liegenden Monumente in Südfrankreich geraten die Monumente in Spanien etwas in den Hintergrund.

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