9. Lissabon-Belem-Caparica

Wir waren kaum von Nazaré aufgebrochen und hielten nochmal an, um das Navi hochzufahren, da sahen wir auf dem Parkplatz zwei herrenlose schwarze Säue munter den Mittelstreifen abgrasen. Die zwei ließen sich in keiner Weise stören.

   

Entlang der Nationalstraße überraschten uns die fruchtbaren Hügel, die Eukalyptuswälder, in denen auch einzelne Yukkapalmen wuchsen, Weinfelder, verfallene Haziendas und Windmühlen auf den Hügeln. Óbidos hat noch eine rundum erhaltene Stadtmauer mit Burg und im Tal eine Wasserleitung aus dem 15.Jh. Wir drehten nur eine Kurve, weil wir leider keinen Parkplatz fanden.

Am Stadtrand von Odivelas spielte unser Navi auf einmal verrückt, ausgerechnet, wo wir auf den Stadtautobahnen von Lissabon besonders darauf angewiesen war. Ich musste das zweite Handy zu Hilfe nehmen, das uns sicher zum Campingplatz geleitete, den wir zuvor angerufen hatten.

Viele Plätze waren noch frei, wir brauchten nicht abzukoppeln, konnten Stühlchen rausstellen. Als erstes stürzte ich mich auf die Waschmaschine und hing die fertige Wäsche im Anhänger auf. Eingeplant hatten wir drei oder vier Tage für die Stadt, aber es sollte anders kommen.

Am 16. November klagte Kurt über seinen mangelhaften Stuhlgang, die Schmerzen sowieso, aber nun muckerte auch wieder die Blase, mit der er seit der Hüft-OP schon zweimal Scherereien hatte. Was machen? Heute war Freitag, die letzte Möglichkeit, vor dem Wochenende noch mindestens ein Rezept für Antibiotika zu erreichen – die einzigen Tabletten, die wir nicht in ausreichender Menge von zuhause mitnehmen konnten. An der Rezeption nannte man mir einen Arzt und eine Klinik in fußläufiger Entfernung.

Im Ärztezentrum werden nur in Portugal Ansässige behandelt, aber in der Privatklinik nahm man uns sofort dran. Zwar mussten wir bar bezahlen, aber die Kasse wird das erstatten. Der Arzt sprach ausreichend Englisch und untersuchte weiter nicht, sondern schrieb gleich Tabletten auf. Allerdings will er nach acht Tagen den Urin kontrollieren. So lange bleiben wir also jetzt in Lissabon, sind zur Ruhe gezwungen. Langweilig wird es nicht werden. Der Nachmittag war wieder bedeckt, gut für ein Schläfchen. Anderntags radelten wir mal an den Strand hinter dem Campingplatz, wo viele Surfschüler sich mit mehr oder weniger Geschick in den Wellen versuchten, obwohl es den ganzen Tag bedeckt war.

Der Sonntag begann sehr neblig. Auf der Suche nach einer neuen Gasflasche fuhren wir ziemlich sinnlos in der Gegend herum, bevor wir 8 km weiter eine Rapsoltankstelle fanden, die uns wenigstens Butan verkaufte. Für Propan hätten wir einen anderen Adapter gebraucht, was komisch war, da wir ja mit einer spanischen Repsolflasche die Fahrt angetreten hatten. Es war eine lustige Schwergeburt, da die schwarze Angestellte sehr freundlich und beredt war, aber nur auf Portugiesisch. Unser Googletranslater war heillos überfordert und kam kaum mit Übersetzen nach. Da wir schon mal mit dem Auto unterwegs waren, kauften wir gleich Gemüse und Obst en gros.

   

Strahlend begann dagegen der Montag, an dem wir jedoch feststellen mussten, dass der Verschluss der Gasflaschenklappe kaputt ist. Haare raufen nutzte nichts, Kurt fand trotz aller möglichen Ölungen, Auseinandernehmen und wieder Einsetzen den Fehler nicht. Nichtsdestotrotz radelten wir nach Trafaria, um uns mal umzuschauen, wo wir morgen starten würden. Auf der Suche nach der Fähranlegestelle radelten wir an einer großen Schule vorbei, die mich sehr an Benin City erinnerte, der Müll an der Straße häufte sich. Schwarze wohnen hier (aus Angola?). Es sind keine Wellblechhütten, sondern kleine, mehr oder weniger gepflegte Häuschen, eindeutig ein Armenviertel, das direkt am Strand endet. Früher soll es ein beliebter Strand gewesen sein, nach Bau der Getreidesilos endete der Reiz. Ich folgte dem Geräusch der Brandung und von der Düne aus sah ich von Möwen bevölkerten unberührten Sand. Die Fähre nach Belem fanden wir auch, Preis, Abfahrtszeit, ob man Fahrräder mitnehmen kann etc., damit wir für morgen planen können. Noch nächtens buchten wir online die Tickets für das Quake, das Erdbebenmuseum, um 12 Uhr.

Früh brachen wir auf und erreichten die Fähre in Trafaria um 10 Uhr. Zuerst vergewisserten wir uns, wo das Quake-Museum ist, wie dort die Fahrräder gesichert werden können und zockelten dann durch die anschließenden Parks, weil noch Zeit war.

Im Jardin de Afonso Albuquerque beeindruckte die Säule. Afonso de Albuquerque ( ca.  1452–1515) war der 2.  Gouverneur von Portugiesisch-Indien, dessen militärische, religiöse und politische Aktionen entscheidend für die Gründung des Portugiesischen Reiches im Indischen Ozean waren. Er gilt als militärisches Genie und versuchte, alle Seepassagen zum Indischen Ozean zu sperren, indem er eine Kette von Festungen errichtete, um die Macht der Osmanen, Araber und ihrer hinduistischen Verbündeten zu brechen. In nur sechs Jahren – den letzten seines Lebens – gelang es ihm, mit einer Streitmacht von nie mehr als viertausend Mann, die Hauptstadt des portugiesischen Staates Indien in Goa zu errichten, eroberte Malakka, den östlichsten Punkt des indischen Handels, erreichte die begehrten „Gewürzinseln“, die Molukken, kontrollierte den Eingang zum Persischen Golf und knüpfte diplomatische Kontakte zu zahlreichen Königreichen in Indien, Äthiopien, dem Königreich Siam, dem Safawidenreich in Persien und sogar dem Mingue-Reich in China.

   

Im Park stand ein Teehaus, das der thailändische König Portugal schenkte. Vor dem Kloster des Jeronimo stand eine 150m lange Schlange, vermutlich die Passagiere eines Kreuzfahrtschiffes. Den Besuch können wir uns abschminken. Ein beeindruckender Bau auch von außen. Da wir 15 Minuten vor Eintritt im Quake sein mussten, kehrten wir um, bewunderten im Vorbeifahren noch die bunten Häuserfassaden.

Das Museum Quake war ein Erlebnis der besonderen Art. Zuerst dachten wir, es werde so etwas wie ein Escape-Room, weit gefehlt. Am ehesten könnte man es noch mit dem London Dungeon vergleichen. Einerseits wird die Geschichte des Erdbebens von 1755 erlebbar erzählt mit Effekten, Videos und wackelndem Boden. Man sitzt auf Kirchenbänken in einer Messe, während einem der Sitz und die Bilder rundum ein Zusammenbrechen des Gebäudes vorgaukeln. Andererseits werden Vergleiche gezogen mit dem Tsunami von Fukushima und dem Beben von San Francisco. Die Entwicklung der Seismographie wird erklärt. Man erfährt, wie sich Politik, Vorsorge, Katastrophenbewältigung, Philosophie und Städteplanung aufgrund dieses Dramas entwickelten. Lissabon war bis dato die viertgrößte und reichste Stadt Europas, mit Goldschätzen aus Brasilien und einer Bibliothek mit 70.000 Bänden – gerade mal sieben Monate zuvor eröffnet-, die komplett in Asche zerfielen, denn durch die vielen Kerzen, die wegen Allerheiligen brannten, brachen gleich Feuer aus und 90 Minuten nach dem Beben kam der Tsunami. Als Besucher löst man Quizaufgaben, kann physikalische Gesetze ausprobieren, man liest Briefe von Zeitzeugen und wirft einen Blick in die Gassen an diesem Allerheiligentag und findet sich im damaligen Alltagsleben um einen herum. Sehr gut gemacht, um in das Thema einzuführen, mit der Aufforderung, sich auf das nächste Beben vorzubereiten, denn es wird bestimmt kommen.

Fast zwei Stunden dauerte der Durchgang. Als nächstes folgten wir den Angaben des ADAC zur Antiga Confeiteria, eine Bäckerei seit 1837, um uns dort zu stärken. Na ja, da ist unsere Lieblingseifelbäckerei bei Weitem unerreicht, aber gestärkt waren wir immerhin in gefliestem Ambiente, um die Unterführung zum Padrᾶo dos Descobrimentos zu bewältigen (mit Hilfe einer sehr steilen Schiene, die über die Treppe lief, ein Gewaltakt; ein Taxifahrer half Kurt und jubelte uns gleich grinsend seine Visitenkarte unter: „…wenn Sie mal mit weniger Anstrengung irgendwohin möchten…“). Zum 500. Todestag von Heinrich dem Seefahrer (1394-1460) ließ der Diktator Salazar den 52 m hohen Klotz errichten als Denkmal für die Eroberer (und Pioniere des Sklavenhandels). Wo bleibt ein zweites Denkmal für die Nachfahren der Eroberten, die nun über das Mittelmeer in der Gegenrichtung kommen? Die Ankunft der ersten afrikanischen Sklaven in Portugal lässt sich bis ins frühe 15. Jahrhundert zurückverfolgen ( als eine Gruppe von versklavten Afrikanern von den Kanarischen Inseln nach Portugal gebracht wurde) und expandierte im 16. Jahrhundert. unter der Herrschaft von Manuel I. (1495-1521). Portugiesen errichteten Handelsposten und Festungen entlang der Westküste Afrikas als Stützpunkte für den Fang und den Transport von Sklaven, die auch von afrikanischen Herrschern, den eigenen Landsleuten, angeliefert wurden.

   

Der Fahrradweg rund um die Hafenbecken war dann etwas einfacher, aber: Mist! Vor dem Torre de Belém stand eine 100 m lange Schlange Asiaten am Einlass. Dieses Welterbe hätte ich schon gern innen besichtigt.

   

Nichts zu machen. So bummelten wir unverrichteter Dinge vorbei an dem Doppeldecker Lusitania, mit dem 1922 die portugiesischen Piloten Gago Coutinho und Sacadura Cabral als erste die Südatlantikroute von Lissabon nach Rio de Janeiro in Etappen absolvierten. Mit der Fähre kehrten wir zurück, als es schon dämmerte.

One thought on “9. Lissabon-Belem-Caparica

  1. Hallo, ihr Beiden,
    wir verfolgen eure Reiseroute, erfreuen uns an Aides interessanten Berichten und den schönen Bildern – manches kommt uns bekannt vor, und das gefällt uns dann besonders. Wir wünschen euch noch viele beeindruckende Tage, an denen ihr uns teilnehmen lasst.
    Alles Gute weiterhin, bleibt so gesund wie möglich!

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