1. Traumziel Algarve (Frankreich)

Eine Woche verbrachten wir bei Freunden in Menton. Ingrid und Klaus haben uns schon an ihrem Traumwohnsitz mit einem Eintopf erwartet. Kaum hatten wir den Parkplatz am Olivenpark belegt, gings zu Fuß den Boulevard entlang. Auf ihrer Treppe stehend und das Handy am Ohr winkten und dirigierten sie uns vom Horizont zum richtigen Haus, kredenzten umgehend einen Aperitif, dann beglückte uns der Hafenblick direkt vom Esstisch. Ihre Ferienwohnung ist ein typisches winzig verbautes Hanghaus, die originale Tapete niedlich, Einbauschränke und Garage.

        

        
Ein absolutes Muss ist in Menton ein Besuch des alten Friedhofs mit den allmählich verfallenden Marmormausoleen der im 19. Jh. hier ihrem Lungenleiden erlegenen Briten und Russen. Ebenso sehenswert war der Bummel durch die engen Gässchen der Altstadt. Endlose Treppen schlängeln sich vom Hafen nach oben.

     

        

   

Kurt wuchs über sich selbst hinaus, was seine Wegstrecken anbelangte. Sein Standard von 5000 Schritten pro Tag wurde täglich weit übertroffen. Wir spazierten nach Italien (am Stadtrand) und besuchten eine altsteinzeitliche Ausgrabung mit museumsdidaktisch sehr gut gemachtem kleinen Museum: die Stratigraphie war zu sehen und die Hockergräber mitsamt Beigaben nachgebildet. Nach Achims (Sohn der Freunde) Chili con carne mussten wir das Feuer mit alkoholfreiem Bier und Rotwein löschen.

   

Anderntags nahmen wir die Bahn nach Nizza. Jeder Zug aus Richtung Ventimiglia wird von Polizei mit MG nach Migranten durchsucht. Fast fühlte man sich an die innerdeutsche Grenze erinnert. Auch in den Straßen wurden Ausländer kontrolliert, viel Polizei. Überall. In Nizza saßen wir am Strand, dort, wo vor Jahren ein Islamist mit LKW in die Menge raste, und beobachteten die Flugzeuge im Landeanflug. Auf dem Wochenmarkt lief uns die Spucke im Mund zusammen über die Salamiwürste, Marmeladen und Esskastanien. Schicken Hütchen konnten Ingrid und ich nicht widerstehen.

   

Monaco war das andere Extrem. Pünktlich erreichten wir den Wachwechsel vor dem Palast. Mit klingendem Spiel paradierten die weiß uniformierten Soldaten und offenbar fuhr ein Mitglied der Fürstenfamilie im SUV vorbei, weil salutiert wurde. Die Kathedrale mit den Gräbern von Grace Kelly und ihrem Mann war von Busladungen an Touristen heimgesucht. Kurts erklärter Wunsch war der Hafen, aber was war das? Alles abgezäunt, das Wasser unerreichbar: Hier läuft die Monaco Yacht Show, die Veranstaltung wurde 1991 als maklerorientierte Veranstaltung mit Schwerpunkt auf Superyachten über 20 m (66 ft) Länge ins Leben gerufen. Kein Durchkommen fürs normale Volk, nur Makler mit VIP-Anhänger um den Hals. So bummelten wir leicht frustriert am Zaun entlang und inspizierten die Auktionsschaufenster mit mannshohen Porzellanvasen, Möbeln, Kunst etc.. Plötzlich hält neben uns so eine Art Golfcaddy und der junge Fahrer fragt, ob er uns irgendwohin bringen könne.

„Aber wir haben keine Eintrittskarte.“

„Kein Problem, ich gehöre zum Service des Hafens.“ Ja, wenn das so ist. Wir zeigen auf die drei großen Pötte am Ende des Kais. Vielleicht kommt man ja von dort auf die Leuchtturmmole, vermuten wir. An den Kontrolleuren fährt er vorbei durch eine Unterführung und setzt uns dort ab, als sei es das Selbstverständ-lichste der Welt. Am Kai sitzen Empfangsdamen in Firmenuniformen an den Gangways und achten darauf, dass die Händler ihre Straßenschuhe ausziehen, bevor sie das Deck betreten. Man wirft nur einen Blick auf uns und schaut dann über uns hinweg. 

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 „Was kostet denn dieser saubere Kahn?“, fragen wir nur mal interessehalber auf Englisch. „Hui, 165 Millionen? Dazu gäbe es weiße Decklatschen. Ich weiß nicht, blau wäre mir doch lieber.“ Die Dame schaut säuerlich nachsichtig.

Langsam schlendern wir zurück bis zu einer Gummiboot-Fähre, die nur im Hafenbecken herumkurvt. Hups, sind wir jetzt nicht innerhalb des Zauns? Wie kommt dat dann? Die Schiffe sind deutlich kleiner, nur noch dreistöckig. Na, wenn da nichts dabei ist… Schaut mal, das dunkelblaue, nur 35 Millionen Euro! Emocean. Geschenkt. Kurt lässt bei der jungen Frau, die vermutlich einen Studentenjob ergattert hat, seinen Charme spielen. Sie ist etwas überrascht, als wir gleich alle vier die Sandalen ausziehen und der Kapitän uns Barfüßige hereinbittet. Britisches Understatement. Sehr freundlich, sehr höflich. Kein Angestellter über dreißig.

Die Gästekabinen üppig, die Kapitänskajüte eher ein Salon, der Tisch gedeckt wie für eine Hochzeit. Der Steuerstand ist gespickt mit Monitoren und auf dem obersten Deck plätschert ein Whirlpool. Kurt stellt fachmännische Fragen. Ihm kommen fast die Tränen, als uns auch noch der Maschinenraum gezeigt wird. Im Vorraum ruht ein Schlauchboot mit Hartkiel, wie es auch von der Coastguard benutzt wird, das bei Bedarf durch ein seitliches Garagentor abgelassen oder rausgeschossen wird. Das wär was, wir geben uns begeistert: Sollen wir das Boot gleich einpacken lassen, fragen wir untereinander. Da warten schon die nächsten VIPs. Klaus eruiert im Internet nachher, dass allein der Eintritt zu dieser Show der Superlative 500 Euro pro Person gekostet hätte. Peanuts.

Der Stellplatz in Menton bietet ein praktisches Drieshüsche, jedenfalls zwischen 8 und 19 Uhr, dann wird der Olivenpark abgeschlossen. Auch die Kassette kann man leeren und Trinkwasser zapfen. Ansonsten muss man autark sein. Wir parkten erst am Straßenrand, doch als wir aus Nizza zurückkommen, erwartet uns die Polizei am Auto und weist uns freundlich Hang auf zum unbefestigten Platz mit tiefen Spurrillen. Mehr als vier Womos passen nicht hin, drei stehen schon da. Den Boulevard hinauf wäre noch Parkmöglichkeit ohne Verbotsschilder gewesen. Der Jardin Botanique Val Rameh, in dem eine reiche Britin im 19.Jh. direkt neben dem Olivenhain ganze Bambuswälder und die tollsten exotischen Pflanzen angesiedelt hat, ist umwerfend. Der Audioguide informiert bestens. Ingrid eilt noch ein Stück mit, dann muss sie in den Olivenhain, wo die Asche eines Bekannten vom deutschen Stammtisch mit Trauerfeier verstreut werden soll. Ab morgen erwarten Ingrid und Klaus Besuch von den Enkeln und wir haben erstmal genug von Schickimickiörtchen. San Tropez und Cannes brauchen wir nicht auch noch abzuhaken.

 

   

   

Nach sieben Tagen rüsten wir zur Weiterfahrt in die Gegend von Arles. Bei Cannes beutelt uns der Mistral etwas. Ich hatte einen Platz ausgesucht, von wo aus wir drei kleine Motorradtouren hätten machen und dazwischen ausruhen können, aber der Platz gefällt uns nicht. Die Stellplatz-App zeigt einen Ort nahe eines der anvisierten Ausflugsziele: Fontvieille für 10 Euro die Nacht. Die Landschaft sieht ganz anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte. Viel Wald, kurvige Strecke. Als wir über eine Kuppe kommen, öffnet sich ein Panorama bis zu den Alpilles und malerischen Bergdörfern. Es sind 22 Grad, aber kühler Wind. Kurz rasten wir mal am Straßenrand. Früher hätten wir da übernachtet, ich bin hin und weg, strolche ins Gebüsch und stoße auf ein Hinweisschild: Aqueduc romain. Schmale Pfade schlängeln sich zwischen Pinien und kniehohen Sträuchern, die mich an die Heidelbeeren meiner Kindheit erinnern.  Das ist ein Wald nach meinem Geschmack! Da ich nicht weiß, wie weit der Weg bis zur Wasserleitung ist, kehre ich um, von Blindheit geschlagen, denn am nächsten Tag fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren. Aber suchen wir erst mal einen Platz für die Nacht. Drei Kurven weiter öffnet sich ein ehemaliger Steinbruch, unten und auf der Hangkante einzelne Pinien, etwa 15 Womos stehen da in großen Abständen, doch der Schlagbaum am Einlass funktioniert nicht, die Ausfahrt steht dagegen offen. Ein französischer Camper meint, die Anlage sei schon länger kaputt und wir sollen einfach reinfahren und einen Platz suchen. Beim Abendspaziergang  finden wir gleich neben dem Platz auf der Kuppe die geflügelte Windmühle, die Alphonse Daudet zu seinen „Lettres de mon Moulin“ inspiriert hatte und die ich sowieso besuchen wollte. Die untergehende Sonne beleuchtet in der Nähe eine weitere Windmühle ohne Flügel, die bis 1791 noch in Betrieb war. Die übrigen zwei schenken wir uns.

   

Leider geht unser Wasser zur Neige und ohne Einlassticket gibt es hier keine Möglichkeit nachzutanken. Na, für zwei bis drei Tage wird es noch reichen. Mit dem letzten Licht fängt unser deutscher Nachbar an, leise auf seinem Akkordeon typisch französische melancholische Melodien zu spielen – sehr romantisch.

Kurt treibt die Sorge um, dass wir uns wieder nicht ausruhen, weil mich der Besichtigungsvirus umtreibt. Gut, ich verzichte auf Les-Baux-de-Provence, aber eine kleine Wanderung ist doch auch sehr entspannend. Oder? Der herrliche Wald hat es mir angetan. Ich fühle mich wie ein Hund, der von der Leine gelassen wird. Nachts sinkt die Temperatur auf 17 Grad, nachmittags steigt sie auf 26 Grad. Es ist Sonntag und viele französische Wanderer parken. Trotzdem begegnen wir kaum jemandem. Die römische Sehenswürdigkeit, die ich ebenfalls eingeplant hatte, erreichen wir nach eineinhalb Stunden. Es ist das Aquädukt von Barbegal, das zur besterhaltenen, größten Mühle des römischen Reiches führt (16 Mahlgänge in Grundmauern erhalten) und die Stadt Arles im 2. Jh. n. Chr. versorgte. Was ich am Tag zuvor sah, war eine unterirdische Zuleitung, die sich als Wall abzeichnet und in einer Felsenrinne endet. Merkwürdigerweise ist es ganz still im Wald, weder Vögel noch Zikaden zu hören. Liegt das an der Jahreszeit?

   

    

Weil Montags unser nächstes Ziel geschlossen ist, bleiben wir noch eine Nacht und spazieren am Morgen ins Dorf. Im Touristenbüro spricht die nette Dame Englisch und ruft den Techniker an. Inzwischen ist nämlich der Schlagbaum geschlossen. Zu Fuß kann man kein Ticket ziehen, mit dem Womo kommen wir aber nicht mehr vor die Schranke. Zur Ausfahrt ist nun ein Code nötig. Auch dieses Problem löst sich in Wohlgefallen auf. Im ärmlichen Ortskern gibt es eine Stierkampfarena aus dem 19. Jh. Eine Weile schauen wir Männern zu, die Boule spielen.

   

   

   

Wir sind problemlos gestartet, die Schranke öffnet sich auf Code vom Techniker. Unser erstes Tagesziel ist die Ruine der gotischen Benediktinerabtei von Montmajour, deren Fotos ich schon zuhause zufällig im Netz entdeckte. Der total verbaute Gebäudekomplex erhebt sich verwinkelt über eine sumpfige Ebene. Der Kreuzgang, Eremitagen, der Kapitelsaal und Weinkeller sind neuerlich restauriert, die Kirche, der Wohntrakt und ein Turm stehen noch mehrstöckig. Begraben wurden die Mönche in Felsengruben. Circa 15:30 geht es weiter in die Camargue.

   

Leider ist das Nebensträßchen so eng, dass man nicht zum Fotografieren aussteigen kann. Einheimische PKW kommen sonst nicht vorbei. So geht mir eine Herde schwarze Stiere durch die Lappen, die gerade mit Melonen gefüttert werden. Einzelne Flamingos, Reiher und weiße Pferde machen neugierig auf mehr. Der Stellplatz ist weitläufig und hauptsächlich von Franzosen besucht, bietet Brötchenservice und fangfrische Austern aus dem eigenen Teich (1 Kilo 26 Euro), aber sonst nur Entsorgungsmöglichkeit. Beim Abendspaziergang sehen wir am Horizont die Festungsmauer von Aigues-Mortes leuchten. Auf der Nachbarwiese bestellen Esel regelmäßig bis in die Nacht hinein Futternachschub – eine ganze Herde mit Jungen. In den stehenden Gewässern rundum brüten jedoch ganz spezielle Quälgeister. Wir gammeln mal komplett einen ganzen Tag bei 26 Grad. An Wänden und Decken häufen sich die Blutspuren abendlicher Gemetzel.

 

 

Am zweiten Tag schwingen wir uns aufs Motorrad und umrunden zuerst die ganze Stadtmauer von Aigues-Mortes. Überall laufen Vorbereitungen für ein großes Fest. Absperrgitter warten auf den endgültigen Platz, Tribünen werden genagelt und geschraubt, Lautsprecher getestet. Wir parken außerhalb, denn rein in die Stadt dürfen nur Anlieger. Mit Audioguide umrunden wir die Mauerkrone (7500 Schritte). Beim Kaffee eröffnet uns ein Kellner, dass Samstag Stiere und andere Tiere durch die Hauptstraße getrieben werden und anschließend Spiele, keine Kämpfe, vor dem Tor stattfinden, alles kostenlos. Wär das was?

   

Anderntags lockt uns ein Strandausflug, nachdem wir fürchterlich zerstochen sind. Ich habe mittlerweile die Spalten zur Garage an den Betten mit Handtüchern zugestopft. Die Wunden im Salzwasser kühlen, schwebt uns vor. Doch der Hafenort Le Grau-du-Roi ist zum Abgewöhnen. Die Küste ist zugebaut mit Urlaubskasernen oder Touristenkabäuschen, die jetzt, verrammelt für den Winter, bei 30 Grad in der Hitze brüten. Jenseits der Bucht säumen Hochhäuser das Idyll.

   

   

             

Da reizen uns jetzt doch eher die Salinen. Zwar ist das Bähnchen angeblich ausgebucht (wir hätten durchaus noch reingepasst, sehen wir bei der Vorbeifahrt), aber eine kurze Wanderung ist ebenso informativ.  Mit den Mauern Aigues-Mortes im Hintergrund genießen wir die durch Algen rot gefärbten Becken, im Werk fahren Lader die Salzberge rauf und runter und ganz am Ende des Wegs kommen wir den Salzerntemaschinen sehr nahe und verfolgen beeindruckt, wie das gemacht wird. Die Temperatur fällt merklich, Regenwolken ziehen auf. Der Stiere wegen morgen nass zu werden, ist uns das Erlebnis nicht wert. Dafür veranstalten die Mücken in unserem Womo ihr Oktoberfest.

Bei 22 Grad und leichtem Regen waschen wir unser Blut von den Wänden. Wo kamen die Viecher bloß rein? Nicht zu ergründen, wo wir doch so vorsichtig waren! Was geben wir nun ins Navi als Ziel ein? Aigues-Mortes war so umwerfend, da verzichte ich gern auf Carcassonne, das, ganz ähnlich gut erhalten, 1980 auf unserer Route von Marokko her lag und wofür wir damals zu wenig Zeit hatten. Wir wollen uns die besten Objekte von jeder Sorte rauspicken, da muss nicht jeder Stein gewendet werden. Frankreich bietet unendlich viel für jeden Geschmack.

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