Vor der Stadtsilhouette von El Balyana war im Morgengrauen ein kräftiger Ruck durch unser Schiff gegangen. Das kannten wir von bisherigen Anlegemanövern nicht. Außer dem Bus, der uns nach Abydos transportieren sollte, interessierte sich am Ufer so früh am Morgen niemand für uns. Ein Matrose mit einer weiß-rot geringelten Stange flitzte entlang der Reling. Mehrfach steckte er sie ins Wasser, offenbar um damit die Tiefe zu loten. Das konnte nur eines bedeuten: Wir waren auf eine Sandbank gelaufen. Wir frühstückten gemütlich und maßen dem Ganzen noch keine große Bedeutung bei. Gleich würden wir aussteigen und den Tempel von Abydos besichtigen. Doch als unsere Polizei-Eskorte hektisch telefonierte, wurden wir stutzig. Wenig später näherten sich von Süden fünf Frachtkähne.
Die Frachter waren baugleich. Zwischen Fahrerhaus und Ladeluken besaß jeder einen oben offenen Metallkasten auf Stelzen. Noch während ich überlegte, wozu der diene, sah ich einen Kapitän mit wehender Galabija hinaufsteigen. Sein Unter-sich-Gefummel, das Abtauchen von Kopf und Schultern, das Auftauchen seines Oberkörper nach ein paar Minuten, gefolgt von abermaligem Gefummel war eindeutig. Sichtlich entspannter kletterte er hinab und schaute dem nächsten Bergungsversuch ins Auge. Ganz klar, dem war die Aufregung aufs Gedärm geschlagen.
Jeder Frachter versuchte sein Glück mit Ziehen an einer Stahltrosse. Gleichzeitig rauschte eine Autokolonne mit Blaulicht die Uferpromenade entlang und Minuten später legte ein kleineres Ausflugsboot mittschiffs an.
Am Strammstehen unserer Besatzung gemessen, mussten wichtige Leute eingetroffen sein. Es war der Provinzgouverneur, der, würdevoll wie ein Pharao und mit steinerner Miene auf einem Sessel sitzend, an Bord gehievt wurde. Statt eines Wedelträgers zur Rechten begleitete ihn eine fünfzehnköpfige unterwürfige Entourage aus Wasserschutzpolizei in Zivil, oberster Polizeichargen in tadellosen Uniformen und auffällig gut Trainierten. Die Hierarchie war daran erkennbar, wer alles aufsprang, wenn sich unterschiedliche Personen erhoben. Amüsiert verfolgten wir auf den Überwachungsmonitoren der Rezeption, wie die Bodyguards um die Toilette herum auf Posten standen, jeder mit seinem Handy beschäftigt.
„Wenigstens war es kein Eisberg…“, flachste neben mir eine Berlinerin. Wir Passagiere hockten wie Spatzen auf der Oberleitung auf Deck und verfolgten den Einsatz als sei es ein für uns inszeniertes Theaterstück. Im Laufe von zwölf Stunden rissen zwei Stahltrossen, das Ruder eines Frachtkahns brach, ein weiterer Helfer fuhr sich fest und musste herausgezogen werden. Drei Zuckerrohrtransporter drückten uns vereint rückwärts nur noch weiter auf die Untiefe.
Und unser Kapitän? Der kniete samt Reiseleiter im Bug und betete. Allah bediente sich eines professionellen Schleppers, wie man ihn auch von der Elbe kennt. Den hatte wohl der Provinzgouverneur herbeizitiert. Zwar verrostet und demoliert, aber funktionsfähig. Der spülte über Stunden mit seinen kräftigen Schrauben den Sand unter uns weg. Nun war es 22 Uhr, morgen also käme die Besichtigung. Der Provinzgouverneur und der Tourismusminister beglückwünschten uns telefonisch am andern Morgen, dass wir so schnell wieder flott waren. Ähnliche Vorkommnisse können durchaus auch schon mal drei Tage dauern. Ja, wir waren nicht sauer, sondern bewerteten das Ganze als willkommenes zusätzliches Abenteuer, zumal Reiseleiter Ahmed versicherte, dass uns dadurch keine Besichtigung verlorenginge. Als einziges wurde der Stadtgang in El Minya gestrichen, aber wir hatten den schon erlebt.
Am nächsten Morgen bestiegen wir den Bus. Den Tempel von Sethos I. in Abydos kannten wir schon. Ahmed deutete auf ein zweistöckiges Wohnhaus in der Nähe und erzählte, dass die Eigentümerin vor einiger Zeit auf längeren Besuch bei ihren Kindern war. In dieser Zeit alarmierte der Nachbar die Polizei, weil er laute Geräusche aus dem Haus hörte. Die Polizei stieß auf Einbrecher, die dabei waren, im Keller einen Tempel auszugraben und leerzuräumen. Jetzt will der Staat das Haus kaufen, um es abreißen zu lassen, damit ausgegraben werden kann.
Hinter dem Tempel bis zum Berg laufen noch Ausgrabungen, die nicht betreten werden dürfen. Kinder verkauften hier gebastelte Strohfiguren, die Glück bringen sollen, wenn man sie über die Tür hängt.
Von 1992 bis 2013 gab es in Mittelägypten keine Touristen, d.h. eine ganze Generation hat keine Erfahrungen mit Fremden. Die anfängliche Feindseligkeit hat sich gegeben, als sie erkannten, dass die Ausländer nicht des Teufels sind und jetzt wird freundlich gewunken, wenn man vorbei fährt. In den Touristenzentren in Oberägypten wird man entweder bedrängt oder wenig beachtet. 1973 besuchten wir Mittelägypten nicht, deshalb habe ich keine Vergleiche.