Am nächsten Tag um 11 Uhr landeten wir wieder in Luxor. Bis zum Abend hatten wir Zeit, denn nur dann fahren Schlafwagen. So beschlossen wir, zunächst einmal Mittagessen zu gehen. Vater meinte sich zu erinnern, dass uns auf dem Weg zum Bahnhof mal jemand in ein Lokal hineinlocken wollte. Wir fanden es auch richtig. Der Besitzer war überglücklich und überschlug sich beinahe. Nach kurzer Zeit hatte wir den ersten dampfenden Teller vor uns und ein Fladenbrot. Es war eine Suppe oder Soße, säuerlich ähnlich unserer grünen Soße, als nächster Gang folgte Molokhia, eine Suppe aus der Langkapseligen Jute (Corchorus olitorius) – deutsch auch Muskraut oder Gemüsejudenpappel, drittens Kebab (ähnlich Cevapcici), viertens Spinat mit Fleisch ähnlich Gulasch, Kartoffeln und Karotten. Das garnierende Grünzeug ließen wir liegen, denn daran sitzen die Bakterien. Obwohl unsere Verdauungsorgane sich schon gut angepasst hatten, wollten wir ihnen das doch nicht zumuten. Es war eigentlich das erste Mal, dass wir so richtig einheimisch speisten. Wir hatten nichts Konkretes bestellt, aber der gute Mann brachte einfach alles, was er hatte. Jeder hatte sechs Teller vor sich stehen, ein Beistelltisch wurde herangeschoben. Wir waren anschließend dermaßen satt, dass wir 24 Stunden nichts mehr zu essen brauchten. Nachteilige gesundheitliche Folgen bemerkten wir keine. Ein Verdauungsspaziergang war allerdings unumgänglich.
Bahnhof Luxor, auch bei Neubauten öffentlicher Gebäude schlagen sie Kapital aus dem Altertum.
An der Fähre zum Westufer trafen wir den Grabbewohner Mohamed und Khaled. Ursprünglich wollte ich nochmal in den Luxortempel, aber es war zu heiß. So gingen wir im Winter Palace-Hotel schwimmen. Dort trafen wir auf die deutsche Lehrerin. Am Spätnachmittag schwoll plötzlich Lärm an. Es kam ein Derwisch zu Pferd mit Musikanten, die einen wilden Rhythmus anschlugen und der Reiter tanzte dazu auf dem Gaul. Die Herumstehenden klatschten und schrien dazu. Angeblich soll das eine Reklame gewesen sein für ein folgendes Fest, zu dem auch in Cairo ganz spezielle Süßigkeiten verkauft werden, ein furchtbar süßes Zeug, das sofort in die Zähne fährt, ähnlich unserem türkischen Honig, aber härter und manchmal mit einem Überzug aus Nüssen und Krokant. Leider bekam ich auch aus Adel nicht heraus, was für ein Fest das ist. [möglicherweise Sham el Nessim (ägyptisches Frühlingsfest] Als Abschluss am Abend statteten wir unserem Bekannten im Gartenlokal nochmal einen Besuch ab. Er rechnet darauf, dass wir bald wiederkommen. Schließlich mussten wir uns aber endgültig trennen. Eine Kutsche brachte uns zum Bahnhof. Wir fühlten uns ganz versiert, als wir vor der Fahrt fragten, was es kosten solle. 25 Piaster. Bei der Bezahlung hieß es dann: 25 Piaster für jeden. Hatte uns also der Schlawiner zum Schluss doch noch reingelegt. Man lernt nicht aus. Mit den Taxifahrern in der Stadt hatten wir nie Probleme, man stellt sich einfach an den Bordstein und winkt.
Nach herrlich durchschlafener Fahrt lief der Zug am folgenden Morgen in Cairo ein. Am Bahnhofsausgang riss uns ein Mann die Koffer aus der Hand und rief uns ein Taxi. Wir wären allein dazu in der Lage gewesen, aber was half es? Wieder Bakschisch. Dieses Taxi war das älteste, das wir je bestiegen: ein Mercedes der ersten Produktion. Ein Wunder, dass wir im Hotel anlangten. Wir waren in einer anderen Etage einquartiert, statt in der 442 in der 344 und trafen unseren Lieblingskellner Ali nur noch manchmal abends. Dann überschlug er sich fast vor Freude, fuchtelte mit den Armen, juchzte vor sich hin, rannte rum, riss uns den Zimmerschlüssel aus der Hand und folgte uns in die andere Etage oder öffnete den Fahrstuhl. Vergeblich suchten wir die beiden Amis im Luna-Park-Hotel. Sie waren nach Alexandria abgereist. Am nächsten Tag lag eine Message bei uns. Sie waren zweimal im Horris gewesen, wir aber nie da. So kann man sich verpassen. Ihr nächstes Ziel sollte Marseille sein.
Nochmal 1,5 Stunden im Ägyptischen Museum verbracht. Anschließend holten wir mit all unserer Schmutzwäsche Frau Brorsen von der Schule ab und fuhren zu ihr und Hafes zum Mittagessen. Am Nachmittag wurde uns der Club vorgeführt, der für die in Cairo lebenden Europäer die einzige Oase ist, in die sie sich flüchten können, wenn sie der Ghettokoller überkommt. Gar nicht so selten ist dieses Gefühl völliger Abgeschlossenheit, denn auch die hier Ansässigen dürfen sich nur außerhalb der Sperrgebiete bewegen. Im Grunde genommen verläuft ein Jahr in der „Kolonie“ relativ monoton, sofern man kein Auto hat und wenigstens innerhalb der Stadt herumkommt. Eine Metro ist erst in Planung. [In den 1980er Jahren wurde die erste Strecke eingeweiht.] Die Ehefrau des Musikanten kannte nach einem Jahr Aufenthalt weniger als wir nach zwei Wochen. Die paar freien Feiertage verbringen die Residents in Luxor, die großen Ferien in Europa. Wenn dann noch Krankheiten dazukommen, wie bei Frau Brorsen, dann nimmt der Stress zu. Es braucht lange, um einen ordentlichen Arzt zu finden. Die Ägypter sind gewöhnt, dass eine Frau von ihrem Ehemann zur Behandlung begleitet wird. Sobald eine Frau allein kommt, glauben sie freie Fahrt zu haben. Die Universitätskliniken müssen nach den Schilderungen schauderhaft schmutzig und überfüllt sein.
Am 29. März kam eine Gruppe Studenten aus Tübingen im Hotel an. Einerseits saugten wir alle Neuigkeiten aus Deutschland in uns auf, ob es sich um Wetter, Politik oder Klatsch handelte und andererseits waren sie ahnungslos im Hinblick auf Geldumtausch, Sehenswürdigkeiten und Umgang mit Leuten. Wir begleiteten sie zur Nationalbank und starteten zu unserer Besichtigung: Ibn-Tulun-Moschee (erbaut 876 nach Samara-Vorbild), Gayer-Anderson-Museum (Beit el-Kiridiliya (1632) und Beit Amna Bent Salim (1540). Dieses islamische Haus, das nach dem Verkauf zum Museum wurde, richtete ein Engländer Anfang des 20. Jh. nach altem Vorbild ein, mit Springbrunnen, Fliesen, Antiken und Mashrabeen. Diese aus gedrechselten Teilen in vielen Formen zusammengesteckten Fenstergitter, oft an vorspringenden Balkonen, sind wunderschön. Sie erlaubten den Frauen, den Betrieb auf der Straße zu verfolgen, ohne selbst gesehen zu werden.
Maschrabeengitter
Durch verwinkelte Gassen gelangten wir zur Sultan-Hasan-Moschee. Gerade war die Schule aus und es wimmelte von Schülern in Uniformen. Sie formierten sich um uns herum, sprangen und kreischten. Teilweise versuchten sie mich an den Armen zu fassen. Anscheinend hatten sie noch nie jemandem mit ärmellosem Pullover gesehen. Kaum hatten wir die Hauptstraße erreicht, waren sie urplötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Nachmittags besuchten wir mit einigen Metern Baumwollstoff einen Schneider, der mir die Maße für eine Galabija abnahm. Nach einer Woche war sie abholbereit.
Am Freitag waren wir bei Frau Brorsen zu einem lukullischen Frühstück eingeladen, um danach zur koptischen Kirche zu fahren. Sie steht innerhalb der römischen Festung Babylon. Der Gottesdienst dauert recht lang. Deshalb verdrückten wir uns vor Ende der Messe. Eine Bestuhlung gibt es nicht, man steht und alle liturgische Handlung findet unsichtbar hinter der Ikonostase statt. Das ehemalige jüdische Ghetto in der Nähe ist nur noch von wenigen Familien bewohnt. Allein, weil die verwinkelten Gassen viel sauberer sind als das übrige Cairo und aufgrund der Palmen wirkt es fast mediterran. Heute war es merklich heißer als bisher. Völlig erschöpft verschliefen wir den ganzen Nachmittag.
Ein wenig schlenderten wir durch die Stadt, besuchten die Markthallen am Opernplatz, bis uns Adel am Abend mit seiner Schwester und Nichte Samiha abholte. Wir fuhren bis Helwan, der nächsten Stadt nilaufwärts, dort mussten wir Mangosaft und Sugarcane probieren, was beides sehr gut schmeckte. Mit Fruchtsäften haben die Ägypter viel Geschick. Überall werden Obstsäfte frisch gepresst. Oft tranken wir zwischendurch ein Glas Orangensaft für den lächerlichen Preis von 5 Piastern (ca. 1 DM) oder Guava-Saft, der wie Cola aussieht, aber zu süß ist. Sugarcane schmeckt so ähnlich wie Milch. Adel kurvte noch wahllos durch die Stadt, über Brücken etc., wollte uns so gerne etwas bieten, am Schluss fiel ihm ein Freund ein. So sahen wir einmal eine private Stadtwohnung, wie wir später noch mehrere sehen sollten. Der „dernier cri“ momentan sind Möbel im Stil von Ludwig II. von Bayern, überall stand Nippes, die Frau war ein egyptian elephant, machte aber ein herrliches Erdbeermixgetränk (fraula).