Frühzeitig brachen wir am 17. März mit den Fahrrädern zu Hatschepsut auf. Blöderweise war mein Hut verschwunden. Hatte ich den gestern auf der Bank im Hof liegen lassen? Was soll es, dann eben ohne. Auch auf diesem Weg mussten wir uns etliche Kinder vom Leibe halten. Vor allem Vieh hütende Mädchen pflegten uns beim Frühstück immer mit allem möglichen Kram zu belästigen. Zum Glück durften sie nicht über die Mauer, und wenn einer von Sheikh Alis Leuten auftauchte, waren sie blitzartig verschwunden. Verließ man aber das Grundstück, dann wuchsen sie förmlich aus dem Boden. Bei Hatschepsut saßen wir dann in aller Ruhe und lasen erstmal die Erklärung im Reiseführer. Eine Gruppe von etwa zwanzigjährigen Studenten der Sozialarbeit aus Assuan rang geraume Zeit mit sich, ob sie uns ansprechen könnten. Sie wollten Näheres von unserem Studentenwerk wissen. Da konnte ich auch nicht helfen. Der Selbstbewussteste von ihnen fragte so allerhand, zum Schluss boten sie ihre Hilfe an, falls wir nach Assuan kämen.
Die oberste Terrasse des Tempels war wegen Restaurierung geschlossen. Um 12 Uhr beendeten wir die Besichtigung und schauten noch bei der österreichischen Ausgrabung vorbei. Dr. Bietak gab eine sehr gute Führung durch sein Grab aus der 26. Dynastie an. Von dieser Mastaba sind nur noch die unterirdischen Teile erhalten, der Oberbau wurde zerstört, als der Aufweg für den Mentuhoteptempel gebaut wurde. Die Mumie hatten sie als Abschreckung in den Eingang gestellt. Die Funde bestanden aus Särgen ohne Beschriftung, Reliefbruchstücken, bemalten Holzplanken. Die Arbeiter in den hinteren Kammern arbeiteten mit Mundschutz. Das Schuttmaterial wurde von Kindern in kleinen Körben hinaustransportiert. Schließlich knipste ich einige Fotos, kritisch beäugt von Ghafir. Doch was war mit mir los? Mir wurde zunehmend übel, sodass wir uns auf den Heimweg machten. Sheikh Ali hatte uns zusammen mit Mohamed zum Taubenessen eingeladen. Widerstrebend entschloss ich mich zur Teilnahme. Ich hätte es besser gelassen. Erstaunlicherweise waren die Vögel genauso zäh wie die Hammel oder Hähnchen.
Ich hoffte, dass ein Mittagsschlaf mich wieder ins Gleichgewicht brächte. So starteten wir erst danach ans Ostufer. Am Abend vorher hatten wir ein Treffen mit Sayed ausgemacht, da Sound & Light auf Englisch abgehalten werden sollte. Beim Savoy Hotel entschied ich, meiner Übelkeit abzuhelfen. Mit fliegenden Fahnen raste ich über den Gang zur Toilette und erreichte im letzten Moment die Örtlichkeit. Das war die Quittung, weil ich den ganzen Vormittag ohne Hut durch die Gegend gelaufen war. Ein Sonnenstich. Erheblich erleichtert radelte ich weiter. Während wir in Karnak am Eingangspylon im Schatten sitzend auf Sayed warteten, begrüßte uns ein Paar, das in Ostberlin auf denselben Flieger gewartet hatte. Kaum waren die weg, würgte es mich zum zweiten Mal und mit Hochdruck verabschiedete sich die zweite Portion Taube. Mitleidig brachten die Diener gleich einen Tee und streuten Sand über das Ergebnis. Als es mir besserging, erklärte der Inspektor den Tempel Ramses III. So ganz koscher war es mir immer noch nicht, also setzten wir uns an den Heiligen See. Hier sahen wir die Schweizer Gruppe um Dr. Kerst zum dritten Mal. Wäre ein Spaziergang um den See anzuraten? Wir hatten ihn zu Dreiviertel umrundet und fast den großen Skarabäus erreicht, da übermannte es mich wiederum. Nun waren die Bestände restlos geräumt. Allmählich fühlte ich mich soweit gut, dass ich den Abend überstehen konnte. Kaum hatte uns Moustafa begrüßt, ertönten Sirenen. Polizeimotorräder tauchten auf, zwei schwarze Limousinen rauschten heran. Es war der Außenminister des Sudan mit militärischem Begleitschutz. Das anschließende Spektakel war eindrucksvoll, Moustafa musste ihn persönlich begleiten und erklären. Vor dem Ende verließ der Minister die Schau und Moustafa setzte sich zu uns. Ungefähr 21 Uhr endete das Event.
Den nächsten Vormittag musste ich ausruhen. Im Hof lernten wir Mr. Galal Kamel, Manager der im nahen Armant arbeitenden Zuckerfabrik, kennen. Alle möglichen Themen kamen zur Sprache: internationale Literatur, Israel, Deutschlands Politik, Humanität, Religion. Zwischendurch entschuldigte er sich mal, weil er beten müsse. Zu Mittag trafen seine Familie, Freunde und ein ungarisches Ehepaar (er Professor für Forstwirtschaft) ein. Ob wir wollten oder nicht, wir mussten mit ihnen Mittag essen, obwohl mir noch gar nicht danach war. Der Koch bereitete mir extra eine Hühnerbrühe.
Am Spätnachmittag rissen wir uns los. Der Weg führte ins nahe Ramesseum. Dort hatten wir Gelegenheit, auf zwei Gerüste zu klettern. Zwei kleine Jungen führten uns. Am Ausgang warteten zwei Kinder und ein Jugendlicher, den wir vom Vorabend kannten, als sie uns mit dem Fahrrad begleiteten. Seltsamerweise baten sie uns, niemandem etwas von der Bekanntschaft zu erzählen. Wir sollten sie unbedingt zuhause aufsuchen. Wahrscheinlich ahnten sie, dass wir uns drücken wollten, denn nun holten sie uns ab. Unser Weg lief die Hügel des Sheikh Abd el-Qurna hinauf, vorbei an Lehmziegelbauten. [Um illegale Grabungen zu unterbinden, siedelte man die Bewohner zwischen 2006 und 2008 zwangsweise in das neue, nordöstlich gelegene Dorf al-Qurna al-Dschadīda um, welches denselben Namen trägt, wie die gescheiterte Siedlung von 1952.]
Die Fahrräder wurden uns von den Kindern abgenommen. Vor dem Haus standen (anscheinend) die Eltern, drinnen saßen wir in einem Raum ohne Fenster auf einer Holzbank. Mit dem Tee wurde eine Ölfunzel gebracht, damit wir diverse Fotos ihrer „Freunde“ betrachten konnten. Wir mussten Postkarten von ehemaligen Touristen betrachten und schließlich – wir hatten es befürchtet – holten sie ihre Schätze hervor: Masken, Usheptis, Stempel, manchmal gaben sie zu, dass es Imitationen waren. Das Ende war, dass sie uns zwei (beschädigte) Usheptis schenkten und den Stempel zur Begutachtung mitgaben. Der Fund war aus seinem Zusammenhang gerissen und deshalb für ein Museum von geringem Wert, aber durch den Kauf unterstützt man natürlich solche Räuberei. Mea culpa. Es war dunkel, als wir bei Sheikh Ali eintrafen. Nach dem Abendessen unterhielten wir uns lange mit einem Zweiundzwanzigjährigen, der uns am Ende bat, ob wir ihm nicht einen französischen Brief schreiben könnten.
Früh holte uns Mohamed Saleh zur Fahrt ins Tal der Königinnen ab. Heute hatte er gerade mal Zeit, um uns in ein sonst verschlossenes Grab mitzunehmen: Nefertari, das schönste Grab der ganzen Reise. Leider wird es durch Salpeterausblühungen zerstört. In der Nähe grub Inspector Mamdouh mit einem Franzosen am Grab der Gattin von Sethos I. und Mutter Ramses II. – einem Grab ohne wertvolle Verzierung. In Der-el-Medina setzte uns der Grabungswagen ab und ein Führer zeigte uns die Arbeitergräber Nr.1, 3, 359 (Sennodjem, Peshedu, Amenemhet). Bei großer Hitze liefen wir am Qurnet Murrai vorbei zum Ramesseum, diesmal, um den italienischen Ausgräberinnen einen Besuch abzustatten. Zunächst sahen wir nur eine Kuhle, in der ca. zwanzig Arbeiter langsam hackten und schaufelten bzw. Erde wegtrugen. Sobald sie uns gesehen hatten, fingen sie lauthals an zu singen und in unsere Richtung zu klatschen. Ich bedauerte sehr, nichts zu verstehen.
Ein Greis zeigte uns den Weg zu Edda Bresciani, die mit dem Inspector of Middle Egypt einen anderen Teil der Grabung beaufsichtigte. Ihr Grab war aus der 12. Dynastie, zwar reich an Keramik, aber schon unter Thutmosis IV. geplündert. Die Professorin aus Pisa, mit der ich wegen des Stempels am Abend vorher ins Gespräch gekommen war, gräbt für die Uni Milano hier, für die Uni Pisa in Saqqara, deshalb war sie ziemlich hin- und hergerissen. Die zwei alten Arbeiter in diesem Grab boten einen trostlosen Anblick.
Die Österreicher waren inzwischen in ein extra Haus umgezogen, kamen aber am Nachmittag bei Sheikh Ali vorbei und erzählten, was es Neues gab: viele Ushebtis, Stelentrümmer, Blöcke von Ramses II. Am Spätnachmittag traf Dr. Decker, ein Assistent für Sportgeschichte aus Köln, ein [Am 28. April 2020 im Alter von 78 Jahren verstorben. Als wissenschaftlicher Assistent und Hochschullehrer prägte Herr Decker seit 1971 die sporthistorische Lehre und Forschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Forschung auf den Gebieten der ägyptischen, griechischen und römischen Sportkultur in der Antike waren auf nationaler und internationaler Ebene hoch angesehen.], der nach einer Tagung in Kairo noch ein paar Tage in Luxor bleiben wollte. Wir weihten ihn gleich in die Gegebenheiten der Gegend ein, das Marsam war voll belegt, so musste er ins Habu Hotel.
Mit ihm und Mohamed besichtigten wir Medinet Habu, wobei beide von ihren speziellen Kenntnissen her einige Erläuterungen beisteuerten. Der Kölner hatte über Sportdarstellungen v.a. in Beni Hasan promoviert. Abschließend bestiegen wir den zweiten Pylon und genossen den Aufgang der blutroten Mondscheibe. In Medinet Habu sind die Hieroglyphen besonders tief eingehauen. Trotzdem sind sie teilweise zerstört. Außerdem neigt sich die Wand oben etwas nach vorn. Wenn man ganz an der Wand steht und blickt nach oben, sieht man dennoch die Darstellungen fast ohne Verzerrung.