Das Marsam Hotel ist das älteste Gästehaus von Luxor. Das über 100 Jahre alte Gebäude war das Grabungshaus der University of Chicago. Seit 1939 ist es Hotel, im Besitz der Familie Abd el Rassoul [seit 2012 unter deutscher Leitung]. Sheikh Alis Familie hat schon zu Zeiten Masperos Artefakte verscherbelt, eigentlich seit dem 13. Jh. Er behauptete augenzwinkernd zweihundert Jahre alt zu sein, besaß zwei Frauen, eine um die fünfzig, die andere zwanzig, dazu zwei kleine Kinder. Er hat seinen Angehörigen verboten mit Antiquitäten zu handeln, deshalb tun sie es heimlich und ich erlag der Versuchung. Sein Koch verkaufte mir 43 cm Mumienbinde aus der 19. Dynastie. Die beiden Knaben mit dem Stempel müssen wohl irgendwie auch mit ihm verwandt gewesen sein. Als sie uns ihren Schatz für 3 Ä£ und einer Hand voll Kaugummis überließen, stolzierten sie nach einer Kunstpause (die Verhandlung musste vor dem Haus stattfinden) in Sheikh Alis Hof, kauten selig vor sich hin und bestachen sogar das Familienoberhaupt mit einem Bubble gum.
Sein Koch war ein reizender Mann. Zwar konnte man sich mit ihm nicht unterhalten, doch wandten wir die paar arabischen Brocken an, die wir gelernt hatten, war er glücklich. Sein Gesicht war wie gegerbt, er wirkte etwas einfältig aber gutmütig. Im Hotel Marsam haben wir uns sehr wohl gefühlt. Nur war ein Fliegenwedel unerlässlich, vor allem während des Frühstücks. Das Frühstück bestand aus gekochten Eiern, Schafskäse, Tee und Marmelade, Wasserbüffelbutter, sogar richtigem Brot, statt der Rosinenbrötchen, die es sonst gab. Zu Mittag hielten hier manchmal Busse, wenn sie vom Bibân el-Molûk kamen, und viele Insassen beneideten uns um unsere Unterkunft. Nachts schliefen extra Wächter auf den Steinbänken im Speisesaal. Ums Haus liefen seine Hunde.
Wir lernten als erstes ein Studentenpärchen aus Berlin und die österreichische Grabungsmannschaft, dann Susan und Dirk kennen, ein Ehepaar aus USA, auf der Suche nach einem neuen Heimatland. Beide waren von der Nixonpolitik und über die Entwicklung ihres Landes so entsetzt, dass sie sich zur Auswanderung entschlossen hatten. Es gab ein Abendbrot nach Standardmaß, d.h. wie wir es selten abgeändert jeden Tag bekommen sollten: zähes Hammelfleisch in ranzigem Öl gebraten, Reis, Bratkartoffeln, Erbsen, alles mit Safran und Kreuzkümmel gewürzt. An diesem Tag gingen wir früh zu Bett, denn für den 16.März, einem Freitag, hatten wir uns das Tal der Könige vorgenommen und dafür Abdel mit drei Eseln engagiert. Zuvor wollten wir allerdings noch Mohamed aufsuchen, einen Doktoranden der Ägyptologie Uni Heidelberg, der mir vor Kurzem in Deutschland ein Treffen vorgeschlagen hatte, weil er zur selben Zeit für seine Doktorarbeit noch Material sammle. Alle behaupteten, er sei noch nicht angekommen. Aber wir wussten, er musste hier sein. Pünktlich um 8 Uhr standen die Esel vor der Tür und los ging’s.
Die erste Station war das Inspektorat, wo uns der Inspektor freudig begrüßte, als wir Mohamed erwähnten. Unserem Begleiter erklärte er den Weg, worauf der die Esel auf die Landstraße Richtung Valley of the Kings dirigierte. Ein gutes Stück weiter erreichten wir ein einsam gelegenes Haus auf der Höhe. Abdel eilte hinein und kam mit der Nachricht zurück, Mohamed schlafe noch. Gerade wollten wir uns den Eseln zuwenden, da grüßte unser Bekannter von hinten sehr freundlich und lud uns gleich zum Tee ein. Außerdem bot er seine Hilfe für verschiedene Besichtigungen an. Das war natürlich spitzenmäßig. Schließlich setzten wir aber unseren Weg fort, um nicht in die stärkste Mittagshitze zu kommen. Nach erfolgreichem Abwimmeln der Andenkenverkäufer konnten wir endlich den Grabbezirk betreten. Unvermeidlich war ein Wächter mit Schlüsselgewalt, ohne den man sowieso in kein Grab kommt. Oftmals blieben sie am Eingang zurück, wenn sie merkten, dass man kein gewöhnlicher Tourist war, sondern sich selbst in den verschiedenen Malereien zurechtfand. So sahen wir bei dieser Besichtigung das Grab Ramses IX. (6), Ramses IV. (4), was über dem Tut-ench-Amuns liegt, Ramses III. (11), Amenophis II. (35), in dem die Malereien erst im Umriss angelegt sind, und Tut-ench-Amun, dessen Mumie als einzige noch in ihrem Sarg im Grab liegt.
Nachdem aber nun die Hitze schon beträchtlich zugenommen hatte, bestiegen wir unsere Esel und begannen den Aufstieg in den Dara Abu el-Naga, das Gebirge, an das sich auf der anderen Seite der Hatschepsuttempel lagert. Erst nachträglich lasen wir, dass dieser Ritt im Reiseführer empfohlen wird, „da es die einzige Möglichkeit für die meisten sein wird, einmal die Todesnähe der Wüste zu spüren“. Na, Prost! Die Aussage kann man getrost unterstreichen. Als nämlich die Esel beim Abstieg auf dem Serpentinenpfad anfingen zu rutschen, stiegen wir doch lieber ab. Kaum berührte ich den Boden, da sehe ich doch zu meinen Füßen ein Steinwerkzeug blinken: Feuerstein und bearbeitet! Ich verkniff mir einen Freudenschrei und steckte es unauffällig in den Socken. Das würde mir keiner an der Grenze abnehmen. Zwischen der schmutzigen Wäsche wäre es sicher. Die Aussicht war von oben umwerfend: Fruchtland, Wüste, Ruinen, tiefblauer Himmel, die Wüstenberge am anderen Nilufer und unter uns der Tempel, über den ich ein Referat gehalten hatte. Daran kann man sich nicht sattsehen! Bei Sheikh Ali ankommend, konnten wir allerdings kaum noch sitzen.
Am Spätnachmittag waren unsere Kehrseiten erholt genug für eine Radtour an den Nil. Bei den Memnonskolossen wurden wir von Kindern abgefangen, die uns kleine Puppen andrehen wollten. Erst als sie nach langem Palaver ihr Bakschisch kassiert hatten, konnten wir weiterfahren. Später beschleunigten wir an dieser Stelle immer unser Tempo, so dass ich auf ein Foto von den Statuen verzichten musste. In Neu-Qurna stoppte uns kurzzeitig der Zuckerzug, ein total mit frisch geerntetem Zuckerrohr überladener Zug, der im Schneckentempo vorwärtskroch, wobei immer wieder die Räder der Lok durchdrehten. Arbeiter warfen uns Stangen vom Waggon, aber wir trauten uns nicht, darauf herum zu kauen. In Kairo hatte ich mehrere Tage lang Kohletabletten gegen Durchfall schlucken müssen. Das reichte mir.
Überschwemmung im 19.Jh. (Erman, Die Welt am Nil, 1937)Am rechten Rand läge das Marsam.
Mit der Fellachenfähre gelangten wir ans andere Ufer und endlich in den Luxortempel. Der Alte, den wir nach dem Eingang gefragt hatten, zerrte uns umgehend in die Moschee, die auf den Tempel gebaut ist. Dort musste ich die Hände auf den Sarkophag des Ortsheiligen legen, mit der Stirn drauftippen, die Mashrabeenwand anfassen. Das alles sollte mir einen Ehemann verschaffen. Ein Grabbewohner weissagte am letzten Tag, dass ich innerhalb eines Monats verheiratet wäre.
Im Tempel stießen wir auf die Schweizer Studienreisegruppe, die wir schon im Cairoer Museum getroffen hatten. Wir schlossen uns ihnen an und hörten auf diese Weise noch einiges Neues. Ungefähr nach zwei oder drei Stunden waren wir erledigt und zogen uns in das Gartenlokal zurück, in dem wir die Schulklasse getroffen hatten. Der Kellner setzte sich zu uns, lud uns zum Karkadeh ein und erzählte von der Schule, wo er nebenbei Englisch lerne und wir mussten von Deutschland erzählen. Auch später waren wir dort öfter. Wenn wir mal an dem Lokal mit dem Fahrrad vorbeikamen, hörten wir schon von Weitem: “Mister, Mister, hello, how are you? Come in!“ Entweder wir riefen ihm was Nettes zu oder „Tomorrow, tomorrow“ und fröhlich winkte er uns hinterher.
In der Dunkelheit fuhren wir zurück. Zum Abendessen kam Mohamed und nahm uns zu einer Party bei seinen Freunden in der Nachbarschaft mit. Anwesend waren u.a. der Inspector of Middle Egypt, Sayed Abd el Hamid (Inspector of Antiquities in Karnak), Khaled Ahmed Khaled (archäologischer Zeichner), Moustafa (Director of Sound and Light in Karnak), eine deutsche Lehrerin und das Studentenpärchen, das auch bei Sheikh Ali nächtigte. Es wurde viel getanzt nach europäischer Musik, aber lange blieben wir nicht, denn für den nächsten Tag brauchten wir unsere Kräfte.