Als wir in Cairo ankamen, waren wir 32 Stunden unterwegs gewesen und hatten 43 Stunden nicht in einem Bett geschlafen. Die über ein Reisebüro für Studenten gebuchte Maschine sollte um 17 Uhr von Ostberlin starten. Wegen technischer Schwierigkeiten hieß es zunächst 1,5 Stunden Verspätung, dann nochmals, am Schluss waren es fünf Stunden. Die Aeroflot spendierte ein Abendessen, bevor endlich eine viermotorige Ersatzmaschine zur Verfügung stand, die dann in Belgrad zwischenlanden musste um nachzutanken. Es war der erste Flug meines Lebens, entsprechend Bauchschmerzen quälten mich, aber Überschlafen war unmöglich. Immer wieder kam die Stewardess und brachte die verschiedensten Sachen. Gegen 4 Uhr morgens landeten wir in Cairo, wo uns gleich beim Zoll ein Ägypter mit den Worten ansprach: „Willkommen in Ägypten. Ganz Cairo erwartet Sie.“
Er nahm uns alle Formalitäten ab, sodass wir ohne weitere Schwierigkeiten recht schnell zum Ausgang manövriert wurden, wo Frau Brorsen trotz der frühen Stunde stand. Sie hatte diesen Mann, einen Angestellten wahrscheinlich von Egypt Air, ein paar Stunden vorher gebeten, uns abzufangen, falls sie nicht mehr da sein sollte. [Ohne Handy keine Chance, jemanden von der Verspätung in Kenntnis zu setzen.]
Gibt es 2023 nicht mehr. Rechts der Blick aus dem Fenster aufs Mokattamgebirge.
Auf der Fahrt durch die Stadt zum Hotel bejubelten wir die ersten Galabeen und Eselswagen. Im Hotel angekommen, fielen wir nach einem erfrischenden Glas Orangensaft (von Ali serviert) zunächst für vier Stunden in die Betten, bevor uns Frau Brorsen nach Ma‘adi zum Mittagessen holte, das ihr Diener Hafes zubereitet hatte. Es gehört zum guten Ton, dass man als ansässiger Ausländer Personal hat. Mit vollem Bauch hielt uns nichts mehr. Auf zu den Pyramiden!
Nach dem allgemeinen Rundgang in Giza sagte unsere Gastgeberin: „Hier habt Ihr zehn Pfund, damit könnt Ihr allein in die Cheopspyramide. Ich war schon paarmal drin und warte mit meiner Bekannten (Gattin eines Kollegen) im Schatten.“ Blitzschnell hatte Hasan, ein von der Sonne gegerbter, schlitzohriger Mann im fortgeschrittenen Alter, erkannt, welch einfache Opfer da so zögerlich über das Plateau schlurften. Mit der Begründung, mit der Eintrittskarte zur Sphinx könne man auch in die Pyramide, schleppte er uns in diese Richtung – vorbei an Mastabas, vor denen je ein Wächter stand, der Bakschisch verlangte. Immer wieder insistierte er, dass wir auf einem Kamel reiten sollten. Wir waren zwar zu müde, aber dieses Argument feuerte Hasan erst recht an, sodass wir uns unversehens auf einem Kamel wiederfanden. Zunächst lehnten die Treiber jede Bezahlung ab, doch ließen sie uns nicht absteigen, bis wir doch noch den Obolus entrichtet hatten. So zahlten wir unser erstes Lehrgeld, denn wir kamen leergebrannt zu unseren Begleiterinnen zurück, ohne Sphinx oder Pyramide gesehen zu haben. Das sind so die Lernsituationen, mit denen Individualtouristen rechnen müssen. [In dem Areal gab es keine geteerten Wege rundum und keine Aussichtsterrasse im NW wie heute.] Etwas kleinlaut bestiegen wir das Auto, fuhren nach Sahara-City [ein Ausflugslokal westlich der Pyramiden, 2019 schon verschwunden] und suchten bis zum Sonnenuntergang versteinertes Holz. Zwei Stücke packte ich ein, eine Astscheibe von 15 cm Durchmesser und ein Bruchstück.
Abgesehen von der Beute, war es ein Erlebnis, durch die Wüste zu gehen, die noch dazu gerade grün war, d.h. Flächen waren dünn mit kleinen, wässrigen, gelb blühenden Pflanzen bedeckt. Sehr schnell überraschte uns aber die Dunkelheit, bevor wir recht erfassen konnten, in welch einmaliger Landschaft wir spaziert waren. Ein Aha-Erlebnis, weil wir uns Wüste unwillkürlich mit Sanddünen vorgestellt hatten. Ägypten überwältigte uns. Fasziniert von den Eselskarren mit den großen Speichenrädern [wegen der Überschwemmungen – 2019 nicht mehr zu sehen], von den Familien, die auf Plattenwagen hockend in die Stadt gekommen waren, von den tanzenden Jugendlichen bei den Pyramiden, den Galabeen. Wesentlich unterstützt durch die Beobachtung der Einheimischen, folgten – nach Erlernung der Zahlen – die ersten Worte, mit Freude aufgenommen, sobald angewandt.
Nach dem Frühstück mit Wasserbüffelbutter, Kaffee, Rosinenbrötchen und undefinierbarer Marmelade pickte uns Frau Brorsen mit ihrem VW-Käfer auf dem Tahir-Platz vor dem Ägyptischen Museum auf, weil das einfach zu Fuß vom Hotel aus erreichbar war. Von dort aus fuhren wir zuerst zum Cairo-Tower, von dem wir die Aussicht genossen, und dann zu den Märkten in Bab el-Louq und Bab Zuweila. Wo sollte man zuerst schauen? Fladenverkäufer bugsierten ihre Ware mit einem großen Brett auf dem Kopf durch die Menge; Männer wie aus tausendundeiner Nacht entlehnt rauchten vor den kleinen Cafés Wasserpfeife; an Trachom erkrankte Kinder verscheuchten die Fliegen um ihre Augen nicht mehr; einkaufende Frauen trugen ihr Kleinkind auf der Schulter, ein Bein hing auf der Brust, eins am Rücken; Gemüseverkäufer schrien in der Markthalle; Fisch oder Truthähne wurden angepriesen, Wasserverkäufer klapperten mit ihren Trinkschalen – alles übertönt vom monotonen Gesang des Muezzins. Wir sahen in winzigen Nähstuben zu, den Schuhputzern und Käppiherstellern, bei der Radioreparatur. Um nicht von den Plattenwagen, die mit ziemlichem Affenzahn durch die engen Gassen rumpelten, überrollt zu werden, quetschten wir uns schnell zwischen baumelnde, gestempelte Hammelhälften, appetitanregender für die Fliegen als für uns. Zu allem das Mitleid erregende Geschrei der Esel.
Wir wurden angestaunt, denn auf den einheimischen Märkten, die sich meist bei den ehemaligen Stadttoren (bab) angesiedelt haben, lassen sich selten Touristen sehen. Nur der Eingeweihte findet den Weg dorthin.
Zu unserem Pensum gehörten an diesem Tag noch die el-Mu’aijad-Moschee und die Ak-Sûnkor-Moschee. In ersterer wurde gerade gebetet, sodass wir uns in den Hof zurückzogen. Doch machte uns Frau Brorsen hier mit den wichtigsten Bestandteilen und Merkmalen der Moscheen bekannt, so konnten wir bei der zweiten schon Besonderheiten erkennen. Sie hieß auch noch die Blaue Moschee, da sie in den Hauptteilen mit blau-weißen Fajenceplatten gefliest war. Auf ihren Matten ließen wir uns nieder und ruhten uns aus in der beschaulichen Atmosphäre, fernab vom Verkehrs- und Menschenlärm. Ein Diener brachte uns Tee, in den Bäumen zwitscherten die Vögel, bevor wir schließlich aufbrachen, um noch einen Blick in die Moschee der großen Zitadelle zu werfen, denn schnell war es wieder dunkel geworden. Sehr müde sanken wir auf unser Lager.